SHGT: MarktTreffs unverzichtbar und beispielgebend  als Versorgungszentren
der ländlichen Räume

Interview mit Jörg Bülow, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages

K i e l  MT 03.11.2020 – „Wir können bei Entwicklungen für die ländlichen Räume noch kreativer, mutiger und schneller werden – auch bei MarktTreffs“, ist Jörg Bülow überzeugt. Seit 2004 prägt er als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied entscheidend die erfolgreiche Arbeit des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages. Im SHGT sind derzeit 1.047 Gemeinden, 84 Ämter und 53 Zweckverbände organisiert. Die 1.183 Gebietskörperschaften umfassen 94 Prozent der Gemeinden, 87 Prozent der Fläche und 46 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner des Landes. Der Gemeindetag unterstützt und begleitet das landesweite Projekt MarktTreff von dessen Beginn im Jahr 1999 an. Vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Situation äußert sich Bülow zur Bedeutung und den Herausforderungen des Vorzeige-Modells aus dem nördlichsten Bundesland.

Frage: Wie sieht der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag die Rolle der MarktTreffs in Zeiten von Corona? 

Jörg Bülow: Der SHGT hat das Projekt vor über 20 Jahren mit aus der Taufe gehoben, persönlich kenne ich die MarktTreffs seit 2004. Was seinerzeit vorausschauende Planung war, hat sich im Laufe der Jahre zum widerstandsfähigen Modell der wohnortnahen Versorgung in ländlichen Gemeinden entwickelt. 
Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen hat eindrucksvoll den Wert eines „Tante-Emma-Ladens“ bestätigt. Wer einen MarktTreff in seiner Gemeinde hat, kann zum einen unkompliziert, wettbewerbsfähig und klimafreundlich seine täglichen Einkäufe erledigen; verfügt zum anderen über einen Anlauf- und Treffpunkt für alle Generationen; und kann sich zudem auf die Kaufleute und die vielfach mitwirkenden Ehrenamtler vor Ort verlassen. Wir haben in den vergangenen Monaten gute Beispiele kennengelernt, bei denen sich Bürgermeister, Feuerwehrkameraden, Pfadfinder, Kirchenleute rund um die MarktTreffs für Notrufe sowie Hol- und Bringdienste engagiert haben.  
Außer der Grundversorgung ist doch die dritte Säule – der Treffpunkt – ein ganz entscheidender Vorzug in Krisenzeiten: Die soziale Komponente können wir gar nicht hoch genug einschätzen – dies gilt auch gerade im Zusammenhang mit den derzeit arg gebeutelten gastronomischen Betrieben, die in einigen Gemeinden für die MarktTreffs prägend sind.

Frage: Bei Ihrem Eintritt in den SHGT im Jahr 2004 gab es 15 MarktTreffs. Heute sind rund 40 multifunktionale Dorfzentren im Land aktiv. Welche Besonderheiten prägen für Sie das Projekt? 

Jörg Bülow: Lassen Sie mich nur kurz drei Aspekte hervorheben. Da sind erstens unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die nach wie vor eine ganz wichtige Rolle spielen. Es ist ja so, dass MarktTreffs in der Regel dort an den Start gehen, wo Kaufleute allein nur schwerlich ein Auskommen finden. Sonst würde es das Modell ja gar nicht geben. Unsere ehrenamtlichen Amtsträger sind meist die Botschafter und Werber für den „Einkauf im Dorf“. Ohne regelmäßige Ansprache und Erinnerung der Bewohnerinnen und Bewohner ist es schwer, den Laden halbwegs profitabel zu führen. 
Zweitens möchte ich die Rolle und den täglichen Einsatz der Kaufleute und ebenso der Gastronomen hervorheben und würdigen. Diese Menschen leisten Großartiges. Vom Handwerker-Brötchen um 5.30 Uhr bis zum Feierabendeinkauf, vom netten Wort zu den Kundinnen und Kunden bis zur Lieferung ins Haus. Und die Belastungen im Wettbewerb nehmen zu, die Digitalisierung schreitet mit völlig neuen Anforderungen an das Personal voran.
Die Gastronomen übernehmen eine besondere Rolle in ländlichen Gemeinden, weil Vereins- und Familienfeste sowie Versammlungen und Zusammenkünfte den „sozialen Kitt“ unserer Gesellschaft bilden. In diesem Jahr werden sie auf eine enorme Probe gestellt – nichts tun dürfen, keine Gastlichkeit offerieren zu können, das trifft viele doch mitten ins Herz.
Und drittens stellt das MarktTreff-Netzwerk – zu dem auch der SHGT als langjähriger Partner gehört – eine bundesweite Besonderheit dar. Es ist schon eine schleswig-holsteinische Tugend, pragmatisch, zielorientiert und im Schulterschluss nach guten Lösungen zu suchen. Das Land hat für die MarktTreffs ein Netz aus Beratung, Betreuung und Coaching gespannt, das einzigartig ist. Die namhaften Lieferanten sichern die Versorgung kleiner Kommunen mit Lebensmitteln, selbst wenn deren interne Vorgaben teilweise andere Ladengrößen empfehlen oder vorschreiben. Das MarktTreff-Partnernetzwerk, zu dem mittlerweile mehr als 20 Verbände und Institutionen gehören, trifft sich jährlich in einem Beirat und tauscht sich über Themen der ländlichen Daseinsvorsorge aus: von der Nahversorgung über die Gesundheit und Mobilität bis zu Kultur und Bildung. Ich schätze diese Treffen und die davon ausgehenden Impulse sehr.

Frage: Digitalisierung und Netzwerkarbeit sind als Stichworte bereits gefallen.

Jörg Bülow: Die Digitalisierung sehe ich als große Chance auch für die ländlichen Kommunen und manche nutzen das schon sehr engagiert. Es wäre toll, wenn auch einmal ein Markttreff die Rolle als digitaler Knotenpunkt oder Standort von digitaler Technik übernimmt, die sich nicht jeder leisten kann. Daneben können die Marktreffs Vorbilder für Kooperation und Vernetzung sein. Es gibt ja gute Beispiele dafür. Der MarktTreff Barkauer Land hat nach früheren Schwierigkeiten im größeren gemeindeübergreifenden Zuschnitt einen erfolgreichen Neustart hingelegt. Und der MarktTreff Schleidörfer in Brodersby-Goltoft gibt mit seiner genossenschaftlichen Trägerschaft dem Modell neue Denkanstöße für mehr bürgerschaftliches Engagement. Hier sehen wir als Gemeindetag noch viel Potenzial für die Zukunft. Aber lassen Sie mich auch darauf hinweisen: Wir können dabei noch kreativer, mutiger und schneller werden.  Ich würde mir von manchem Kommunalpolitiker noch mehr Unterstützung gerade bei der Entstehung neuer MarktTreffs wünschen. 

Frage: Wo steht MarktTreff in zehn Jahren?

Jörg Bülow: Das Projekt ist mittlerweile über 20 Jahre alt – oder jung, wie Sie mögen. Und es hat sich die ganze Zeit hindurch als innovativ und robust gezeigt, Marktreffs entwickeln sich ständig weiter. Genau dabei dürfen wir nicht nachlassen. Die vor uns liegende ELER-Förderperiode der Europäischen Union (2021-2027) wird uns eine Reihe von veränderten Rahmenbedingungen vorgeben. Wir setzen uns dafür ein, dass auch dann die Marktreffs weiter gefördert werden können. Und dann hoffe ich doch, dass wir in zehn Jahren 10 oder 20 weitere Markttreffs haben, die die Lebensqualität vor Ort verbessern.

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