Wie werden die MarktTreffs noch inklusiver?
Ein Interview zum Thema „Inklusion fängt bei jedem Einzelnen an“
K i e l MT 16.02.2023 – Mehr als 500.000 Menschen in Schleswig-Holstein leben mit einer Behinderung – also jeder fünfte Mensch im Land. Die Landesregierung hat sich mit dem Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einiges vorgenommen. Das Ziel: In jedem Bereich soll das gleichberechtigte Miteinander verbessert werden. Das MarktTreff-Projekt hat sich im Dezember 2022 bei einem Workshop im Hause der Lebenshilfe Schleswig-Holstein über erste Ideen und Maßnahmen ausgetauscht. Mit dabei waren Sylvia von Kajdacsy vom Inklusionsbüro Schleswig-Holstein und Dr. Dagmar Thiele-Gliesche, Betriebsleiterin des MarktTreffs Barkauer Land. Im Interview berichten sie über Hintergründe und Erfahrungen, über Hilfen und Wünsche auf dem Weg zu Barrierefreiheit und Inklusion. Und die beiden Macherinnen sagen, wie MarktTreffs künftig noch inklusiver werden können.
Das Inklusionsbüro Schleswig-Holstein ist bei der Lebenshilfe angesiedelt. Was sind Ihre Ziele?
Sylvia von Kajdacsy: Lassen Sie mich kurz erläutern, was hinter dem Leitgedanken der Inklusion steckt: Es geht darum, dass alle Menschen in all ihrer Vielfalt die gleichen Möglichkeiten haben sollen, an der Gesellschaft – an Arbeit, Freizeit, Bildung etc. – teilzuhaben. Alle Menschen sind gleichberechtigt – Inklusion ist ein Menschenrecht. Und insofern hat der Inklusionsgedanke Bedeutung für alle Menschen in der Gesellschaft. Der Aktionsplan des Landes Schleswig-Holstein zur Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention trägt nicht umsonst den Titel ‚Einer für alle’. Und wir alle können von- und miteinander lernen. Am Ende bedeutet das eine Gesellschaft, in der alle etwas davon haben – Menschen mit und ohne Behinderung. Wie Sie richtig sagen, gehen wir von rund 500.000 Menschen aus, die in Schleswig-Holstein mit einer Behinderung leben. Vermutlich kennen auch Sie in Ihrer Umgebung jemanden, der oder die zum Beispiel eine Seh- oder Hörbehinderung oder eine eingeschränkte Mobilität hat. Viele Behinderungen sind gar nicht so unmittelbar sichtbar, wie wir uns das im ersten Moment vorstellen. Grundsätzlich sind wir erstmal alle verschieden, und diese Vielfalt ist gut so. Das Inklusionsbüro Schleswig-Holstein setzt sich für ein gleichberechtigtes Miteinander von Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt ein. Unser Ziel ist eine Gesellschaft für alle – eben ‚alle inklusive’, wie die Initiative von Beginn an heißt.
Worin bestehen die Aufgaben des Inklusionsbüros?
Sylvia von Kajdacsy: Wir arbeiten seit 2007 vom Sozialministerium gefördert unter dem Dach der Lebenshilfe Schleswig-Holstein und bilden die Schaltstelle für Inklusion in Schleswig-Holstein. Inklusion ist ein stetiger Prozess und wir gestalten diesen Prozess gemeinsam mit vielen Aktiven. Schauen Sie einfach mal auf unsere Webseite www.alle-inklusive.de, da finden Sie unser gesamtes Aufgabenspektrum. Zentral ist, dass wir, wo immer wir können, Impulse zu allem rund um die Leitidee Inklusion geben. Wir entwickeln Bildungsangebote und beteiligen uns an Diskussionen und Gremienarbeit. Man kann uns auch anfragen, wenn man zum Thema Inklusion einen Vortrag oder Workshop haben möchte. Es geht uns darum, den Inklusionsgedanken möglichst breit in die Öffentlichkeit zu bringen und die Akteur:innen in Schleswig-Holstein zu vernetzen. Wenn beispielweise eine Kommune oder eine Organisation inklusiver werden möchte, kann sich diese gerne an uns wenden. Dann beraten wir und bringen bei Bedarf die ‚Player’ von Inklusionsprojekten zusammen. So wie wir ja auch beim MarktTreff beratend begleiten.
Wie kann diese Unterstützung aussehen?
Dagmar Thiele-Gliesche: Im MarktTreff Barkauer Land in Kirchbarkau praktizieren wir seit rund fünf Jahren Inklusion. Das klingt erstmal groß, ich mache es einmal praktisch. Bereits beim Umbau unseres MarktTreffs haben wir auf Barrierefreiheit geachtet. Wir haben extra breite Türen und Gänge im Laden und im Cafébereich. Unser regelmäßiger Mittagstisch ist sehr beliebt und einmal in der Woche arbeitet eine Kollegin mit, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Wir haben einen jungen Mitarbeiter im Team, der einfach nicht ganz so schnell wie andere arbeiten kann. Ein weiterer junger Mitarbeiter hat ebenfalls eine Beeinträchtigung – er ist aktuell in einer ‚unterstützten Beschäftigung’ der Agentur für Arbeit und möchte gern in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen werden. Die Kolleg:innen und die Kund:innen schätzen die ‚inklusive Atmosphäre’ bei uns und empfinden diese als Bereicherung. Denn Freundlichkeit und Aufmerksamkeit werden bei uns großgeschrieben und kommen gut an.
Das gesamte Team ist bei uns in Entscheidungen eingebunden und trägt diese mit. Das halte ich für ganz wichtig. Denn natürlich gibt es manchmal auch Reibungen, das ist überall so. Wenn Sie nach Hilfen fragen, hätte ich gern mehr Unterstützung in den bürokratischen Abläufen. Kümmern sie sich mal um Ausbildungsfragen oder Eingliederungshilfen! Da kommen sie schnell an ihre Grenzen. Vieles ist bei uns noch zu kompliziert. Da wünsche ich mir mehr Vereinfachung und hoffe, im Rahmen des Landesaktionsplans tut sich da was. Zum Glück werden wir regelmäßig unterstützt durch Mitarbeiter:innen des Integrationsfachdienstes im Kreis Plön und des Jugendaufbauwerks Plön / Koppelsberg.
Sylvia von Kajdacsy: Da spricht Frau Thiele-Gliesche eine Barriere an, die wir auch häufig und zunehmend als große Hürde erleben: die Undurchschaubarkeit bürokratischer Abläufe. Der Aufwand, der damit verbunden ist, sich in diesem (Antrags-)Dschungel zurecht zu finden, schreckt oft Arbeitgeber ab, die ansonsten dem Thema der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen offen gegenüberstehen. Hier muss sich dringend etwas ändern! Insofern ist es wenig verwunderlich, dass sich in der Wirtschaft immer noch zu viele Unternehmen über die sogenannte Ausgleichsabgabe ‚freikaufen’. Es ist ja so, dass in Firmen mit mehr als 20 Beschäftigten fünf Prozent dieser Beschäftigten Arbeitnehmer:innen mit Behinderung sein sollen. Wer diese Zahl nicht erreicht, muss eine entsprechende ‚Ausgleichszahlung’ vornehmen. Es lohnt sich aber im ersten Schritt immer, einfach mal zu schauen, wie andere das gemacht haben – das Rad muss ja nicht immer neu erfunden werden. So finden Sie ‚beispielhafte Geschichten’ verschiedenster Organisationen in einem Leitfaden des Unternehmens-Netzwerks Inklusion. Lassen Sie sich nicht von den rund 200 Seiten Umfang abschrecken: Es steht viel Wissenswertes und gute Praxis drin und man kann gut ‚häppchenweise’ durch die Kapitel stöbern: www.unternehmensnetzwerk-inklusion.de.
Nun soll in den kommenden zwei Jahren ebenfalls ein Inklusions-Leitfaden für MarktTreffs erarbeitet werden. Welche Ideen haben Sie?
Dagmar Thiele-Gliesche: Ich wünsche mir einen kurzen Überblick mit praktischen Beispielen, guten Tipps und Hilfen – gern verlinkt. Bitte nicht zu umfangreich. Es gibt ja einige MarktTreffs, die schon barrierefrei sind oder mit Inklusionsbetrieben kooperieren. Darüber würde ich gern mehr erfahren.
Sylvia von Kajdacsy: Generell: Denken Sie Menschen mit Behinderungen von vornherein mit und benennen Sie den Grad der Barrierefreiheit, den der jeweilige MarktTreff bietet. Dabei können Sie ja bestenfalls Ihre Vorteile wie zum Beispiel ausreichende Türbreiten, behindertengerechte Parkplätze oder Toiletten aufführen. Nehmen Sie Kontakt auf zu ‚Playern’ in Ihrer Region – beispielsweise Inklusionsbetrieben oder Einrichtungen der Eingliederungshilfe – und schauen Sie, ob Sie Ideen übernehmen oder kooperieren können. Bei der Orientierung im Bürokratiedschungel helfen im Individualfall auch die Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungen (EUTB’s: www.teilhabeberatung.de) oder die Beratungsstelle der Lebenshilfe Schleswig-Holstein (https://www.lebenshilfe-sh.de/service/beratung/). Wenden Sie sich als Arbeitgeber aber auch an die Integrationsfachdienste Ihres Kreises – und natürlich gerne jederzeit an uns.
MarktTreff und Inklusion
MarktTreffs sind eine besondere Art von Laden in unseren Dörfern und auf dem Land.
Die Menschen können in den MarktTreffs einkaufen oder Kaffee trinken und essen.
Dazu kommen verschiedene Dienstleistungen wie Post, Lotto oder ein Treffpunkt.
Für alle Menschen der Umgebung.
Wie können Menschen mit Behinderungen den MarktTreff besser nutzen?
Wie können sie im MarktTreff mitmachen? Wie wird der MarktTreff barrierefrei?
Dazu sollen Positiv-Beispiele erarbeitet werden.
Diese Beispiele sollen auf der Internetseite von MarktTreff vorgestellt werden.
Damit alle von den Beispielen lernen können.
Die Lebenshilfe SH e. V. im Internet:
Kontakt:
Lebenshilfe Schleswig-Holstein e. V.
– Inklusionsbüro –
Kehdenstraße 2-10
24103 Kiel
Telefon 0431 - 66 11 8 0
inklusionsbuero@lebenshilfe-sh.de
(und Lebenshilfe SH direkt: info@lebenshilfe-sh.de)
Informationen zu Gründung und Betrieb eines MarktTreffs
Bei Interesse an der Gründung eines neuen MarktTreffs nehmen Sie bitte Kontakt auf mit dem Projektmanagement unter:
gruendung@markttreff-sh.de
Detaillierte Informationen zum Projekt MarktTreff mit vielen Arbeitshilfen und aktuellen Tipps finden Sie unter:
www.markttreff-sh.de
Fotos / Quellen: Lebenshilfe SH e. V., MarktTreff Barkauer Land, ews group, MarktTreff SH, Markus Scholz