Mobile Nahversorgung auf dem Vormarsch –neue Entwicklungen, Konzepte und Ideen

K i e I  / B o r g s t e d t     MT 11.05.2017 – Für Jürgen Blucha steht fest: „Wir müssen in vielen ländlichen Regionen über neue Ideen zur mobilen Nahversorgung nachdenken – auch bei uns in Schleswig-Holstein.“ Als MarktTreff-Projektverantwortlicher im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MELUR) sieht Blucha in der Verknüpfung von stationären Läden mit mobilen Versorgungsangeboten eine Lösung für künftige Anforderungen: „Der Druck der Lieferanten und des Marktes wird weiter zunehmen. Größere Verkaufsflächen, mehr Produkte. Unsere verhältnismäßig kleinen Läden spüren das heute schon.“ Wenn dazu noch die Digitalisierung im Einzelhandel verstärkt werde, bestehe allemal Gesprächs- und Handlungsbedarf.

MarktTreff Borgstedt wird Vorzeigemodell

Einer, der sich seit geraumer Zeit mit dem Thema Mobile Nahversorgung der Region befasst, ist Gero Neidlinger, Bürgermeister in Borgstedt und Amtsvorsteher. „Wir haben im Amt Hüttener Berge schon früh den Veränderungsdruck im Zuge der demografischen Entwicklung erkannt und als Antwort ein vernetztes Konzept entwickelt. Jetzt ist der Förderbescheid für unser erstes Modell einer Verknüpfung von stationärer und mobiler Versorgung eingegangen – endlich", fügt Neidlinger erleichtert hinzu.

Seit Jahren schon ist die Gemeinde Borgstedt ein Nutzer der Marke MarktTreff, bislang ohne echten Anlaufpunkt. Bis zum Ende des Jahres soll sich das ändern und das Vorhaben „auf die Straße“ kommen: „Die örtliche Bäckerei Stabler hat über Jahrzehnte Erfahrung mit einem Verkaufswagen. Ein neues MarktTreff-Mobil wird gerade ausgebaut und technisch sowie logistisch an die Anforderungen der Zukunft angepasst“, ergänzt Neidlinger.

Der Borgstedter Bäcker Stabler wird nach Umrüstung des Fahrzeugs für mehr Frischeprodukte den MarktTreff „Sehestedter KanalTreff" am Nord-Ostsee-Kanal sowie einige Dörfer und entlegene Höfe in den Hüttener Bergen beliefern. Und Marcus Stabler geht noch weiter: „Im Zuge der Neuorientierung gestalten wir ebenfalls unser Ladengeschäft um und machen ihn zu einem Treffpunkt fürs Dorf.“ Mehr Artikel des täglichen Bedarfs, mehr Convenience-Produkte, ein ansprechenderes Ambiente als Landcafé – so beschreibt Stabler die Zukunft. Zum Jahreswechsel 2017 sollen der Wagen rollen und der Ladenumbau vollendet sein. Dann wollen Neidlinger und Stabler gemeinsam in Borgstedt die echte MarktTreff-Fahne hissen.

KombiBus nach skandinavischem Vorbild

Die Idee zum „KombiBus“ ist schon etwas älter und stammt aus dem hohen Norden: Die guten schwedischen Postbusse dienten beispielsweise als Vorbild, denn sie praktizierten immer schon den Anspruch „vieles unter einem Dach“. Zur Beförderung der Fahrgäste kam die Mitnahme von Postsendungen und weiterer Artikel. Beim brandenburgischen „KombiBus“ geht man noch etwas weiter, es werden zusätzlich sogar Frischeprodukte transportiert. Dank einer „TriQ-Box“ ist das problemlos möglich. Bis zu zwei Tagen sind die temperaturempfindlichen Waren darin lagerbar. Aber so lange wartet niemand auf seine Lebensmittel: Dank fester Fahrpläne und Absprachen weiß der Kunde, wann seine Bestellung an der jeweiligen Station abholbereit ankommt. Zur Idee gehören ebenfalls die Auslieferung von Arzneimitteln und das Angebot von Bankdienstleistungen.

Vorbild aus Skandinavien: ein KombiBus im Norden Norwegens
Erfolgreich im Einsatz: KombiBus in Brandenburg

Das brandenburgische Pilotvorhaben läuft erfolgreich seit 2012. Das dortige Ministerium fördert derzeit Projekte interessierter Verkehrsgesellschaften mit jeweils 70.000 Euro zur neuerlichen Umsetzung. Der „KombiBus“ ist ebenfalls in Schleswig-Holstein angekommen: In der 2016 vorgestellten Mobilitätsstudie des hiesigen Wirtschaftsministeriums wird das Angebot des kombinierten Busses als erstrebenswertes Pilotprojekt im Lande angeregt.

Hochschule Erfurt forscht an E-Dorfauto

Derartige Pilotprojekte und Entwicklungen werden sehr genau beobachtet – zum Beispiel in der Fachhochschule Erfurt am Institut für Raum und Verkehr. Direktor Prof. Dr.-Ing. Heinrich Kill befasst sich schon viele Jahre mit Mobiler Nahversorgung: „Bereits seit den 80er Jahren steckt in der Bündelung von Angeboten und der klugen Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger der größte Nutzen: für Fahrgäste und Konzessionsträger, für die Gesellschaft und Umwelt", betont Kill. Aktuell wird an seinem Lehrstuhl das „Werther mobil ...“ begleitet und evaluiert.

Das Pilotprojekt „Werther mobil ...“ wird von der Fachhochschule Erfurt begleitet.
In der thüringischen Großgemeinde Werther gibt es eine spezielle Ladestation für die E-Fahrzeuge.

„Hervorgegangen aus einem gemeinnützigen Dorfladenprojekt in der thüringischen Großgemeinde Werther, ist 2015 eine Mobilitätslösung entwickelt worden.“ Das „Werther mobil ...“ werde überwiegend für ehrenamtlich begleitete Fahrten älterer Fahrgäste genutzt, hinzu komme die Nutzung durch Vereine sowie Privatpersonen nach Anmeldung. Ein weiterer Profiteur ist die Gemeinde selbst: „Da die einzelnen Gemeindeteile sich über eine weite Fläche erstrecken, wird das Fahrzeug häufig von den Mitarbeitenden für Besuche in Ortsteilen eingesetzt.“ Das „Werther mobil ...“ ist zudem ein Elektromobil und dient der Hochschule zu Forschungszwecken über die dazugehörige Solarstation und das Speichermedium.

Kill weist bei der Entwicklung derartiger Konzepte auf einen wichtigen Punkt hin: „Holen Sie gleich zu Beginn alle Beteiligten an einen Tisch und schließen Sie tragfähige Vereinbarungen ab. Sonst kann es Ärger geben mit Konzessionsträgern“ – so geschehen in Werther. Abschließend hebt Kill die Bedeutung von „MarktTreff" in seiner Lehrtätigkeit hervor: „Die Studierenden führen regelmäßig Best-practise-Betrachtungen durch. Dabei schneidet MarktTreff einfach gut ab.“

emmasbox und Regiomat – neue Liefer- und Abholsysteme

Die Wirtschaft hat ebenfalls die Versorgungslage in den kleinen ländlichen Gemeinden erkannt und erprobt neue Systeme. So ist die EDEKA Nord auf der Suche nach einem ersten Dorfstandort – beispielsweise ein MarktTreff – der mit der „emmasbox“ ausgestattet werden kann. Das System funktioniert durch die Verknüpfung eines größeren EDEKA-Händlers mit weiteren kleinen, innovativen Einheiten in der Region: den „emmasbox“ genannten Abholstationen, bei denen Kunden zuvor online bestellte Ware nahezu rund um die Uhr abholen können. Verschiedene Boxenelemente stehen bereit für Trockensortiment, Frische- und Tiefkühlware. Geöffnet wird „emmasbox“ per zugemailtem Zahlencode, bezahlt wird einfach auf elektronischem Wege. Erste Boxen sind bereits in Bayern sowie an ausgewählten Flughäfen und Bahnhöfen in Betrieb.

dav
EDEKA will das System „emmasbox“ in städtischen und ländlichen Räumen erproben.
sdr
Bisher gibt es erst wenige Regiomaten – wie hier in Rellingen – in Schleswig-Holstein.

Der Regiomat ist aktuell besonders häufig in Baden-Württemberg anzutreffen. Mehrere Hundert Bauernhöfe und -läden bieten ihren Kunden so in erster Linie regionale Produkte wie Obst, Gemüse, Milchprodukte sowie Fleisch- und Wurstwaren. Das System mit den „Abholfächern“ ist einfach zu bestücken, hält die Ware frisch, der Kunde zahlt per Bargeldeinwurf oder auch EC-Karte.Am MarktTreff-Standort Christiansholm ist die Aufstellung eines „Regiomaten“ aktuell im Gespräch. Rolf Tiessen, stellvertretender Bürgermeister, sieht die Vorteile: „Für einen eigenständigen Laden ist es bei uns wirtschaftlich nicht interessant genug. Ein Regiomat würde diese Lücke zum Vorteil unserer Bürger schließen.“

Für Referatsleiter Jürgen Blucha (MELUR) zeigen diese unterschiedlichen Lösungen in die richtige Richtung: „Als Ministerium begrüßen wir die Verknüpfung von stationären und mobilen Angeboten in unseren Gemeinden. Ziel ist es dabei immer, die wohnortnahe Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Artikeln des täglichen Bedarfs zu sichern und so zu einer hohen Lebensqualität beizutragen.“

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