MarktTreff-Werkstatt 2020:
Neue Geschäftsmodelle für die Zeit nach Corona

K i e l  MT 28.07.2020 – Bereits zum zweiten Mal veranstaltete das landesweite Projektteam eine MarktTreff-Werkstatt, jetzt mit dem Schwerpunkt „Neue Geschäftsmodelle“. Dafür kamen  in Kirchbarkau (Kreis Plön) rund 20 Experten und Kaufleute aus dem MarktTreff-Umfeld zusammen und tauschten sich intensiv aus. „Gerade in der Zeit nach Corona teilen wir vergleichbare Erfahrungen“, resümierte Sven Fiedler, Edekaner aus Kiel und Lieferant des MarktTreffs in Neuwittenbek am Nord-Ostsee-Kanal. „Ob Du einen großen Supermarkt führst oder einen kleinen Dorfladen – eine wichtige Botschaft des Tages lautet: kooperieren. Dazu gab es in der Werkstatt gute Anregungen und Anknüpfungspunkte.“

Die Impulse für neue Angebote, Dienstleistungen und Services lieferten Malte Bombien, Vorstand der Regionalwert AG aus Hamburg, Thorsten Bausch von myEnso aus Bremen und Jörg Schauerhammer von der Sesam GmbH. Nach einer kurzen Vorstellung der Unternehmen erarbeitete die Runde gemeinsam Ansätze für neue Pilotprojekte an MarktTreff-Standorten.

Drei Konzepte: im MarktTreff „stationär“ und „online“ verbinden

„Wir stehen 100 Prozent für ökologisches Wirtschaften und regionale Wertschöpfungskreisläufe“, erläuterte Malte Bombien den Ansatz der Regionalwert AG. Zu ihrem Verbund gehören bereits rund 50 Betriebe: von der landwirtschaftlichen Produktion bis hin zu Veredlern und der „Hobenköök“, dem Restaurant mit Markthalle inmitten der Hamburger City. „Künftig geht es vermehrt um Werte und Sinnfragen. Die aktuelle Diskussion um ‚wahre Kosten’ im Zusammenhang mit Fleischindustrie und -konsum zeigt die Richtung. Verbraucher wollen wissen, woher die Ware kommt, unter welchen Bedingungen die Haltung, Verarbeitung und Vermarktung erfolgen – und wie hoch die Folgekosten sind.“
 Die Regionalwert-Betriebe liegen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen – einige davon in der Nähe der rund 40 MarktTreffs. Bei der MarktTreff-Werkstatt galt es anhand einer einfachen Business-Planung, die Rahmenbedingungen für mögliche Vertriebsstationen an MarktTreff-Standorten zu skizzieren. Die Bündelung von Produkten und Lieferungen soll in einem zweiten Schritt für das Gebiet mittleres Schleswig-Holstein konkretisiert werden.

In Kirchbarkau trafen sich die Fachleute zur MarktTreff-Werkstatt 2020.

Thorsten Bausch von myEnso aus Bremen stellte gleich mehrere Kooperationsansätze vor und zur Diskussion: tanteenso, das firmeneigene Modell der wohnortnahen Versorgung, das vergleichbar wie MarktTreff funktioniert. Hierbei können allerdings Vor-Ort-Angebote mit rund 20.000 Artikeln aus dem eigenen Online-Supermarkt verknüpft werden. Besonderheit ist die 24-Stunden-Öffnung mittels Kundenkarte. „Und: In ländlichen Gemeinden müssen Sie sich keine Gedanken machen über Laden-Diebstahl“, ergänzte Bausch. Das könne absolut vernachlässigt werden, zudem sei der tanteenso-Laden kameraüberwacht. Als zweiten Ansatz wies Bausch auf das Programm #foodpioniere hin. In regelmäßigen Abständen biete myEnso jungen innovativen Herstellern die Möglichkeit, ihre Produkte auf der Firmenmesse und später im Online-Shop sowie den tanteenso-Läden vorzustellen: „In der Szene ist unglaublich etwas los. Wir haben so großartige Produkte entdeckt – von Brotaufstrichen und Röstkaffees über Kartoffelchips bis Craftbeer.“ Die foodpioniere seien sehr beliebt bei der Kundschaft und böten immer wieder neue Kaufimpulse. „Damit verknüpfen wir das Metropolenangebot mit dem Dorfladen“, erläuterte Bausch. Dagmar Thiele-Gliesche vom gastgebenden MarktTreff Barkauer Land stellte den sozialen Aspekt in den Mittelpunkt: „Bei aller Online-Euphorie und 24/7-Öffnungszeiten sollten wir den persönlichen Austausch, die Begegnung miteinander nicht vergessen. Gerade nach Corona wollen die älteren Kunden wieder im Laden einkaufen.“ Viele ihrer 19 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer würden sich deshalb engagieren. Die verschiedenen Impulse von myEnso werden ebenfalls für eine Reihe von MarktTreff-Standorten konkretisiert.

„Die SESAM GmbH hat zwei Angebote für die MarktTreff-Familie: die Sesam Box als zeitunabhängige Abholstation. Und unsere Smart-Entry-Technologie, die bequem Software und Cloud gestützt Zugänge für Sammel- und Abholräume ermöglicht“, fasste Geschäftsführer Jörg Schauerhammer seine Vorstellung zusammen. Beide Technologien seien auch für den Privatbereich oder für Wohnungsgesellschaften interessant: „Denn so können Sie Ihre Bestellungen und Produkte zu jeder Tages- und Nachtzeit in Empfang nehmen.“ Die Boxen könne man einzeln langfristig an Stammkunden vermieten oder – etwa mit Kühlelementen aufgewertet – zu ganzen Abholreihen konfigurieren. In der Diskussion zeigte sich, dass dieser Service ebenfalls für Touristen eine echte Verbesserung darstellen kann. Sascha Firmenich vom MarktTreff Hohenfelde zeigte sich sehr angetan: „Ware vorbestellen, im Laden abholen – oder zu anderen Zeiten die Box nutzen. Wenn die Zugangstechnik einfach und variabel funktioniert, kann das ein toller Service werden.“ 

Im Gespräch: Christina Pfeiffer und Jürgen Blucha vom Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung (MILIG) und MarktTreff-Betreiber Volker Stiefel (rechts)
Reger Austausch am Rande der MarktTreff-Werkstatt: Sven Fiedler (EDEKA-Kaufmann aus Kiel) und MarktTreff-Marktleiterin Dagmar-Thiele Gliesche aus Kirchbarkau (im Vordergrund), Sascha Firmenich (EDEKA Alpen, links) und Oliver Ohm (BBE Handelsberatung)
Intensives Gespräch: Nicolas Fahl (wilhelm.tel, Norderstedt) und Jörg Schauerhammer (SESAM GmbH, rechts)
Sascha Firmenich (EDEKA Alpen, links) und Oliver Ohm (BBE Handelsberatung)

Drei Aspekte: Regionalität, Digitalisierung, Kooperation

Als „roter Faden“ zogen sich für „die Zeit nach Corona“ drei Aspekte durch die Veranstaltung: Regionalität, Digitalisierung und eben Kooperation. „Wir punkten mit unseren rund 20 regionalen Lieferanten“, hob Andreas Eckelmann, Betreiber des MarktTreff Beidenfleth in der Wilstermarsch, hervor. Damit erziele der Dorfladen eine Alleinstellung. Und die Frage nach der „sicheren Herkunft“ der Produkte werde nach seiner Einschätzung in Zukunft noch weiter zunehmen.

Beim Stichwort Digitalisierung zeigte sich die große Herausforderung für den Handel: „Du musst heute digitales Wissen und Kompetenz haben“, warf Volker Stiefel vom MarktTreff Tetenhusen (Kreis Rendsburg-Eckernförde) ein. Die Entwicklungen würden einen geradezu überrollen.
 Bestätigung findet diese Wahrnehmung durch die jüngst veröffentliche Studie zum „Supermarkt der Zukunft 2020“ der Beratungsgruppe ReAct. Zwar sei praktisch jeder Bereich im Einzelhandel von der Digitalisierung betroffen: Studienteilnehmer nannten Warenwirtschaft (67 Prozent), Einkaufserlebnis / besserer Service (64 Prozent) sowie Steuerung der Mitarbeiter (57 Prozent). Es fehlten allerdings in vielen Supermärkten die technischen Voraussetzungen und es mangele am nötigen IT-Wissen bei Führungskräften und Mitarbeitern. Aktuell verfolgten 32 Prozent im LEH eine umfassende Digitalstrategie, weitere 48 Prozent setzten digitale Einzelprojekte um.

„Das passt zu den Förderprogrammen des Landes Schleswig-Holstein“, sagte Jürgen Blucha vom einladenden Kieler Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung (MILIG). Bei der Förderkulisse „Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz“ (GAK) werde Digitalisierung eine stärkere Betonung erfahren. Zudem führe das Innenministerium gerade einen Wettbewerb „Digitale Modellkommunen“ durch – mit Betonung einer interkommunalen Zusammenarbeit. „Das zeigt: Digitalisierung und mehr Kooperation gehören zusammen. Die Chancen der Zukunft nutzt man am besten gemeinsam.“

Testeten die Abhol- und Lieferbox (v. l. n. r.): Dieter Witasik (ews group, MarktTreff-Projektteam), Marktleiterin Dagmar Thiele-Gliesche, Kirchbarkaus Bürgermeister Frank Jedicke und Oliver Ohm (BBE Handelsberatung)
In der Küche des MarktTreffs Barkauer Land: Marktleiterin Dagmar Thiele-Gliesche, Beidenfleths MarktTreff-Betreiber Andreas Eckelmann und Thorsten Bausch (myEnso)
Fachsimpeln im MarktTreff Barkauer Land (v. l. n. r.): Thorsten Bausch (myEnso), Marktleiterin Dagmar Thiele Gliesche und MarktTreff-Betreiber Andreas Eckelmann
MarktTreff-Betreiber Andreas Eckelmann und Marktleiterin Dagmar Thiele-Gliesche im Austausch
Christina Pfeiffer und Jürgen Blucha vom Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung im Gespräch mit Jörg Schauerhammer (SESAM GmbH, Mitte)
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