Neue Konzepte bei der Nahversorgung auf dem Vormarsch
K i e l MT 16.02.2021 – Die Nahversorgung in ländlichen Gemeinden ist eine große Herausforderung und Chance zugleich. Außer den 43 MarktTreffs in Schleswig-Holstein gibt es mittlerweile neue erfolgversprechende Modelle in anderen Bundesländern und in Österreich. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten werden die Verknüpfung von stationären und Online-Angeboten, eine Rund-um-die-Uhr-Öffnung von Läden sowie neue Vertriebswege für regionale Produkte erprobt und umgesetzt. „Es ist eine Menge in Bewegung“, erläutert Christina Pfeiffer aus dem Innenministerium Schleswig-Holstein. Digitale Entwicklungen würden zusätzlich für Impulse sorgen – „die gern unser Drei-Säulen-Modell ergänzen können. Dabei steht bei uns der Faktor Mensch weiter im Mittelpunkt“, so Pfeiffer. Wir stellen Ihnen einige ausgewählte Neuerungen vor.
Premiere für „Teo“, den automatisierten Minimarkt
Seit November 2020 hat die Handelskette Tegut mit Sitz in Fulda das Konzept „Teo“ am Start. Ein Supermarkt, der ohne Personal auskommt und rund um die Uhr geöffnet hat. Der Laden ist mit 50 Quadratmeter Verkaufsfläche zwar relativ klein, bietet aber immerhin rund 950 Produkte für den täglichen Bedarf. Dabei kommt gleich mehrfach innovative Technik zum Einsatz: Der Zugang erfolgt über eine herunterzuladende App, über einen QR-Code erhalten Kunden dann Zutritt. Anschließend können die gewünschten Produkte entweder mit dem eigenen Smartphone oder an einer stationären SB-Kasse erfasst werden. In jedem Fall müssen die ausgewählten Produkte selbst gescannt werden. Die Bezahlung erfolgt bargeldlos direkt per Smartphone oder mit Karte. Zur Sicherheit wird der kleine schmucke Laden mit mehreren Kameras und 3D-Sensoren überwacht.
Hinter Teo steht die Handelskette Tegut, die seit 2013 zum bedeutenden schweizerischen Migros-Konzern gehört. Tegut betreibt rund 280 Märkte in Hessen, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg sowie Göttingen und Mainz und ist stark auf Bioprodukte und regionale Ware ausgerichtet.
Mit Teo sollen unter anderem „städtische Zwischenräume“ erschlossen werden. Gemeint sind Standorte etwa an Verkehrsknotenpunkten, vor öffentlichen Einrichtungen oder auf dem Gelände größerer Unternehmen – überall dort, wo der klassische Supermarkt zu groß ist. Tegut-IT-Leiter Alexander Bradel kündigte bereits zwei bis drei weitere Test-Standorte an. Diese müssen sich nicht automatisch in Stadtlagen befinden. „Wir versprechen uns viel von ländlichen Gegenden“, sagte Bradel – weil Teo an Orten betrieben werden kann, an denen sich ein regulärer Laden mit Personal nicht rentieren würde. Außerdem passt Teo ideal in die Tegut-Strategie, verstärkt auf kleinere Flächen für Zusatzeinkäufe zu setzen. So will sich das Unternehmen dafür wappnen, dass immer mehr KundInnen in Zukunft einen Teil ihres Warenbedarfs online bestellen könnten.
Teo blickt in die Zukunft des innovativen Einkaufens
Teo ist rund um die Uhr geöffnet und kommt vollständig ohne Kassenpersonal aus. Einkaufen und bezahlen erfolgt per App oder an einem Self-Checkout-Terminal mittels Scan & Go-Technologie.
Über den in der App integrierten Scanner lassen sich Produkte selbst einscannen, indem man den Barcode eines Produktes vor die Kamera hält. Dann wird das Produkt in den digitalen Warenkorb der App gelegt. Der Gesamtpreis des Einkaufs ist dabei jederzeit sichtbar. Am Ende bezahlt der Kunde direkt in der App über sein hinterlegtes Bezahlverfahren. Der Kassenbon ist digital in der App hinterlegt, kann aber ebenso heruntergeladen, ausgedruckt oder per E-Mail verschickt werden.
Bisher einmalig: Kunden, die mit der App gescannt und anschließend per Girocard am Self-Check-out-Terminal bezahlt haben, können die IBAN ihrer Girocard anschließend in die App übernehmen lassen. So kann der nächste Einkauf dann einfach per gesicherter Lastschrift in der App bezahlt werden, ohne dass der Kunde ein Bezahlverfahren manuell hinzufügen muss.
Natürlich ist ein Einkauf auch „traditionell“ möglich: Dann scannen Kunden ihren Einkauf selbst ein und bezahlen am Kartenlesegerät – per Girocard, Kreditkarte oder Pay-Funktionen. Der Kassenbon kommt dann wie gewohnt aus dem Bondrucker.
Tegut ist für das Modell Teo im November 2020 mit dem „Innovationspreis des deutschen Handels“ ausgezeichnet worden.
Tante Enso verbindet modernen Online-Handel mit dem Tante-Emma-Gefühl
Im Oktober 2020 eröffnete in der niedersächsischen Gemeinde Schnega (Kreis Lüchow-Dannenberg) der jüngste „Tante Enso-Laden“. Drei weitere Tante Ensos waren zuvor bereits in Betrieb: im niedersächsischen Blender, in Stuttgart und im schleswig-holsteinischen Eutin. Mit Tante Enso verbindet die in Bremen ansässige myEnso-Gruppe modernen Online-Handel mit einem stationären Ladenangebot – Tante Emma und der Online-Supermarkt myEnso fusionieren vor Ort zu einem jeweils maßgeschneiderten Nahversorgungsangebot: Tante Enso.
Das innovative Konzept ist in Schnega und Blender jeweils angesiedelt in einer ehemaligen Volksbank-Filiale, in Stuttgart und Eutin in Seniorenresidenzen. Zu festen Tageszeiten ist der Tante-Enso-Laden mit Personal besetzt. Ansonsten kann der Laden rund um die Uhr mit der eigenen Chipkarte betreten werden. Diese dient ebenso zur Bezahlung der Einkäufe (SEPA-Lastschrift oder Guthaben). Die Sicherheit wird durch Überwachungskameras gewährleistet.
Dieser Mix macht Tante Enso derzeit einzigartig:
1. ein 24/7-Dorfladen mit Teilzeit-Personalbesetzung und rund 3.000 Artikeln für den
Sofortkauf, inklusive regionaler Produkte
2. ergänzt um Dienstleistungen wie Post, Lotto / Toto, Reinigungsservice sowie
spezielle Unternehmens-, Senioren- und Eventservices
3. die Verknüpfung mit dem myEnso-Onlineshop, der rund 20.000 Artikel im Sortiment führt
4. eigener emissionsfreier Lieferdienst im Umkreis von bis zu 25 Kilometer
Neben dem klassischen Supermarktsortiment setzt myEnso einen besonderen Blickpunkt mit den sogenannten „Foodpionieren“ und den „Regionalen Helden“. Was verbirgt sich hinter diesen Bezeichnungen? „Foodpioniere" sind Start-ups und Manufakturen, die neue Wege gehen: Ihre Waren sind von hoher ökologischer Qualität, besonders gesund oder einfach schöner verpackt – vieles in Bioqualität. Unter dem Label „Regionale Helden" werden Produkte aus der Region beworben – „Regalnasen“ weisen extra darauf hin.
Situativ kann das Tante Enso-Konzept erweitert werden durch zum Beispiel ein Dorfcafé oder die Einbindung lokaler Händler.
Wie funktioniert das Tante-Enso-Betreibermodell?
„Planung und Umsetzung gingen beispielsweise in Schnega relativ flott“, sagt Thorsten Bausch, Geschäftsführer von myEnso. Da der örtliche Einkaufsmarkt angekündigt hatte zu schließen, traf sich in der 1.000 Einwohner Gemeinde ein achtköpfiger Initiativkreis und machte sich an die Arbeit. Bausch: „Bereits zum ersten Ideen-Austausch kamen rund 350 Interessierte.“ Sehr schnell hätten sich genügend Schnegaer entschieden, einen Genossenschaftsanteil von je 100 Euro an der myEnso Teilhaber eG zu zeichnen. Grundvoraussetzung für eine Umsetzung des örtlichen Tante Enso-Konzeptes ist es, dass mindestens 300 Anteile an dieser Teilhaber-Genossenschaft aus dem jeweiligen Ort gezeichnet werden. Dieses Ziel wurde in Schnega innerhalb von wenigen Tagen erreicht.
Über diesen Weg sichert sich Tante Enso das Bekenntnis des Ortes zum Projekt, wertet dies als „Tante Enso ist tatsächlich gewünscht“ und bindet bereits vor Eröffnung mindestens 300 potentielle KundInnen.
Für jeden Standort wird eine eigene Tante Enso GmbH & Co KG mit Sitz im Ort gegründet. Diese stellt das Personal ein, betreibt den Laden, zahlt die Pacht und eröffnet ein Konto – „im Ort oder im Nachbarort, denn die Wertschöpfung soll in der Region bleiben“, betont Thorsten Bausch. Gegründet wird die örtliche GmbH & Co KG von der enso eCommerce GmbH und der myEnso Teilhaber eG. So ist gewährleistet, dass die örtlichen GenossInnen auch an ihrem eigenen Tante Enso-Markt beteiligt sind.
Bei „Tante Enso“ kommt es auf die Menschen an
Bausch bringt die Erfolgsformel von Tante Enso so auf den Punkt: „Die persönliche Nähe von Tante Emma sowie das Angebot und die Möglichkeiten von myEnso werden verbunden mit der durch die Einbeziehung der Menschen punktgenauen Bedürfnisbefriedigung und dem starken Engagement der Bürger.“ myEnso prüfe sehr genau, wo ein Markt eröffnet werde. Entscheidend sei, dass der Ort das Angebot wolle – und das werde über die Bereitschaft ermittelt, genügend Genossenschaftsteilhaber zu finden.
Die Schnegaer Bürgermeisterin Annegret Gerstenkorn bestätigt diese Sicht: „Dank der aktiven Dorfinitiative, die diese ganze Arbeit auf sich genommen hat, gibt es jetzt diesen neuen Mittelpunkt. Dabei ist er nicht nur eine Einkaufsmöglichkeit, sondern auch eine Möglichkeit, sich zu treffen.“ Für das Jahr 2021 ist geplant, bereits 20 Tante Ensos zu betreiben.
miniM – Österreichs Nahversorgung für kleine Gemeinden
Das österreichische Lebensmittel-Einzelhandelsunternehmen MPREIS ist vor allem für seine vielfach ausgezeichneten Laden-Architekturen bekannt. Ebenso übernimmt MPREIS seit Jahren konsequent Verantwortung in der Region.
Ein wichtiger Baustein im Nahversorgungskonzept sind die miniM-Märkte. In mittlerweile mehr als 40 Ortszentren kleinerer Gemeinden bieten die miniMs den BewohnerInnen eine Einkaufsmöglichkeit direkt vor der Haustür.
Moderne Nahversorgung – am Beispiel der Gemeinde Pflach
Seit Oktober 2020 sind die Menschen in der Tiroler Gemeinde Pflach wieder gut versorgt. Auf 300 Quadratmetern bietet der neue Markt ein breit gefächertes Warensortiment. Rund 3.000 Artikel des täglichen Bedarfs, immer frisches Brot und ausgewählte regionale Spezialitäten gibt es hier zum selben Preis wie in allen anderen MPREIS-Märkten. Der kompakte Markt passt genau zu Pflach und den Bedürfnissen seiner rund 1.450 BewohnerInnen. Sowohl zu Fuß, mit dem Rad als auch mit dem Auto gut erreichbar – an genügend Parkplätze wurde natürlich gedacht – ist der neue miniM mehr als ein Einkaufsort: Er soll ein neuer Treffpunkt im Dorfleben werden und seine Café-Corner ein Platz, an dem man sich gern austauscht und plaudert.
Nachhaltiges Erfolgskonzept für starke Ortskerne
Mit dem miniM hat das Unternehmen ein Konzept entwickelt, um in den Ortskernen im Alpenraum die Nahversorgung sicherzustellen, einen sozialen Treffpunkt zu schaffen und gleichzeitig eine Angebotsvielfalt zu bieten, die den Menschen vor Ort auch wirklich alles bietet, was sie sich von Nahversorgung wünschen. Mit ihrem Fokus auf regionale Produkte leisten die miniMs einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität und zur Wirtschaft in ländlichen Gemeinden.
Besonders im Fokus: Regionale Produkte
Lebensmittel von regionalen Lieferanten und aus biologischem Anbau stehen auch bei miniM im Rampenlicht, so zum Beispiel die rund 130 Produkte der Bergbauerngenossenschaft Bioalpin. Alles was von Bioalpin in die Regale kommt, unterstützt die Tiroler Bergbauernwirtschaft und mit kurzen Transportwegen und nachhaltiger Produktion die Umwelt.
Nahversorgung mit Aufwind
Jürgen Blucha, Leiter des Referates für ländliche Entwicklung im schleswig-holsteinischen Innenministerium, blickt begeistert auf die neuen Entwicklungen: „Viele Jahre standen der Wegzug der Bevölkerung aus ländlichen Gemeinden und Ladenschließungen in den Schlagzeilen. Der Trend dreht sich gerade. In vielen Regionen nehmen die Menschen ihre Zukunft in die Hand: mit Dorfläden, Tante Enso, Teo und natürlich unseren MarktTreffs. Es deutet sich an, dass diese Veränderung nachhaltig wirkt und die digitalen Anwendungen werden weitere Möglichkeiten eröffnen.“
Weitere neue Konzepte:
Regiomat / regiobox
Kleiner Automaten-Supermarkt mit begrenztem Sortiment für rund um die Uhr-Einkauf; Lebensmittel, Getränke, häufig regionale Produkte; je nach Technik-Ausstattung für Bargeld-Zahlung, Giro- oder Visakarte, bis Apple und Google Pay
Combi 24/7
Das Unternehmen Bünting testet im Combi-Markt in Oldenburg (Niedersachsen) Automat mit begrenztem Sortiment für Rund-um-die-Uhr-Einkauf; etwa 500 Artikel: Lebensmittel, Getränke, Drogeriewaren; Auswahl erfolgt am Terminal, Bezahlung erfolgt per Kredit- oder Girokarte, Zusammenstellung und Warenausgabe erfolgt vollautomatisch.
Comptoir de Campagne
Multifunktionale Geschäfte in Gemeinden mit 2.000 EinwohnerInnen in der Region Lyon im Südosten Frankreichs; Stand Dezember 2020: elf Läden mit Fokus auf regionale Produkte und Dienstleistungen wie Post, Lotto und kleiner Gastronomie; Bürgerbeteiligung und gemeindliche Unterstützung wichtiger Faktor; Franchise-System in Planung für großräumige Expansion.
Mit Informationen aus wendland-net.de, supermarktblog.com, snabble gmbh, FAZ, handelsjournal, NZZ sowie von Tegut, myEnso, MPREIS, die freundlicherweise das Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben.