Fahrbüchereien auf dem Weg in die Zukunft –
in Kooperation mit MarktTreff

Oke Simons zu den Plänen und Chancen einer Fahrbücherei
als Ort der Begegnung und der digitalen Teilhabe

K i e l  MT 17.06.2019 – Das Büchereiwesen befindet sich in einem rasanten Wandel. Eine veränderte Lesekultur und die zunehmende Digitalisierung sind Auslöser für tiefgreifende Veränderungen. Der Büchereiverein Schleswig-Holstein stellt sich den neuen Herausforderungen und antwortet mit neuen Ideen für seine Fahrbüchereien, die den ländlichen Raum in Schleswig-Holstein mit Dienstleistungen rund um Kultur und Bildung versorgen. Geplant sind Fahrbüchereien, die sich mehr auf digitale Angebote konzentrieren und in Gemeinden zu Treffpunkten und Orten der Begegnung und des Austauschs werden sollen. Oke Simons, Geschäftsführer des Büchereivereins Schleswig-Holstein, erläutert im Interview die Planungen für sogenannte „Dritte Orte“ und ihre Funktion im Zusammenspiel mit MarktTreffs in Schleswig-Holstein.

 Herr Simons, der Büchereiverein feiert im Jahr 2020 sein 25-jähriges Bestehen. Nun machen Sie mit einer neuen Idee von sich reden: dem „mobilen Dritten Ort“. Was verbirgt sich hinter dieser Idee?

Oke Simons: Wir stärken als Büchereiverein seit vielen Jahren den ländlichen Raum durch ein leistungsstarkes Fahrbüchereisystem, genau genommen schon seit 1962. Seit geraumer Zeit verändern sich die Gesellschaft und das Leseverhalten der Bürgerinnen und Bürger. Dem möchten wir zukünftig Rechnung tragen durch ein innovatives Angebot: dem mobilen Dritten Ort. Ziel dieser Neukonzeption ist eine neuartige Fahrbücherei, die neben dem klassischen Medienangebot von Büchern, 

CDs und DVDs verstärkt digitale Angebote an Bord hat. Einerseits geht es dabei um die bereits seit Jahren angebotene Onleihe, über die E-Books, E-Hörbücher, online verfügbare Kurse usw. rund um die Uhr ausgeliehen werden können, andererseits um verschiedenste Angebote zur Vermittlung von Medienkompetenz. Wenn Bibliotheken künftig bestehen wollen, müssen sie gemeinsam mit anderen Kultur- und Bildungsinstitutionen vor Ort neue Dienstleistungen in den Vordergrund stellen. Eine hohe Aufenthaltsqualität und ein noch breiteres Lern- und Bildungsangebot gehören auch für unsere 13 Fahrbüchereien dazu.

 Gibt es in Deutschland bereits ein Vorbild für dieses neue Fahrbüchereikonzept – oder greifen Sie auf Erfahrungen in anderen Ländern zurück?

 Oke Simons: Die Büchereiabteilung der Büchereizentrale und das Personal der Fahrbüchereien stehen im regen Austausch mit Fahrbücherei-Kolleginnen und -Kollegen aus ganz Deutschland, aber auch aus Skandinavien und den Niederlanden. Fahrbüchereitreffen bei Bibliothekartagen und internationale Fahrbüchereikongresse bieten die hervorragende Gelegenheit, über den Tellerrand zu schauen und sich von guten Ideen inspirieren zu lassen. Vor der Herausforderung der veränderten Mediennutzung stehen in der Tat alle Träger von Stand- und Fahrbüchereien. Bibliotheken stellen sich mit einem Transformationsprozess dieser Herausforderung und versuchen – oft mit Unterstützung von Fördergeldern – innovative Konzepte rund um die Raumgestaltung und die Veranstaltungsarbeit zu erarbeiten. Die Büchereizentrale Schleswig-Holstein wird sich mit konkreten Ideen um Fördergelder für die Erstellung des neuen Fahrbüchereikonzeptes über ein Programm der Kulturstiftung des Bundes bewerben.   Bereits jetzt bereitet sie im Zusammenspiel mit verschiedenen Akteuren – so auch MarktTreffs – die heiße Phase der Konzepterstellung vor. Die neuen Fahrbüchereien sollen als echte Treffpunkte in ländlichen Gemeinden fungieren.  Mit Netzwerkpartnern vor Ort sollen sogenannte „Dritte Orte“ entstehen, also Orte für Kultur und Begegnung, aber auch Lernorte, wo Menschen gemeinsamen Interessen nachgehen können. Das Konzept der „Dritten Orte“ geht auf den Soziologen Ray Oldenburg zurück. Während der „Erste Ort“ das Zuhause darstellt und der „Zweite Ort“ die Arbeit, ist der „Dritte Ort“ ein öffentlicher, im Idealfall konsumfreier Ort für Begegnung und Austausch – wie früher der Marktplatz, der Dorfgasthof oder der Dorfladen. In Skandinavien hat man diese Aspekte bereits früh umgesetzt und gute Erfahrungen damit gemacht.  Die Fahrbüchereien können durch längere Haltezeiten ihren Beitrag dazu leisten. Bürgerinnen und Bürger sowie Vereine und Institutionen sollen die Fahrbücherei verstärkt als Treffpunkt und Lernort nutzen können, gleichzeitig soll die Fahrbücherei ein Initiator für weitere Aktivitäten in der Gemeinde sein – auch außerhalb ihrer Stehzeiten. 

 Wie erfolgt die Entwicklung des Fahrbücherei-Konzepts konkret? 

 Oke Simons: Das erfolgt nicht am grünen Tisch, sondern wir setzen stark auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Dabei stellen wir uns eine Art Laborphase vor, durchaus mit dem Mut zum Experiment. Gemeinsam mit MarktTreff-Vereinen in den Gemeinden, anderen Institutionen, die unter Umständen  auch im landesweiten Beirat des MarktTreffs sind, Ämtern und Kommunen möchten wir an dieses innovative Vorhaben herangehen. Uns, als Büchereiverein, obliegt die Projektleitung, aber gemeinsam mit unseren Partnern werden die Rahmenbedingungen entwickelt. Welche Ausstattung muss die Fahrbücherei zukünftig erhalten? Welche Technik kommt zum Einsatz? Wie wird die Barrierefreiheit erzielt? Wie wird die Aufenthaltsqualität verbessert? Wie gestalten wir einen Lernort für Jung und Alt?  Welche Haltpunkte in Dörfern sind sinnvoll und welche Haltezeit notwendig? Das sind Fragen, denen wir uns aktuell stellen.  Im Frühjahr 2020 geht es konkret mit den ersten Workshops, Zukunftswerkstätten und Bürgerbeteiligungsprozessen los, höchstwahrscheinlich im Kreis Rendsburg-Eckernförde.

 Welche Rolle spielen die rund 40 MarktTreffs bei der Realisierung des „mobilen Dritten Ortes“?

 Oke Simons: Wir fahren mit unseren Fahrbüchereien aktuell rund 25 MarktTreff-Standorte an. Viele der Standorte verfügen über gute Treffmöglichkeiten. Hier können wir uns gute Synergieeffekte vorstellen. In MarktTreffs finden ja bereits heute Kurse, offene Gruppen und Austausch statt. Wir möchten einen Beitrag für die Weiterentwicklung dieser Angebote leisten. Der Büchereiverein ist bereits seit rund 15 Jahren Partner der MarktTreffs. Jetzt können wir noch deutlicher eine Verbindung zueinander herstellen, die den Menschen in ländlichen Gemeinden konkret zu Gute kommt. Wir wollen allen Bürgern sowohl die kulturelle als auch digitale Teilhabe mit digitalen und analogen Lern- und Kulturangeboten ermöglichen. Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit den MarktTreffs die „Blaupause“ dazu zu entwickeln. Der Prototyp der neukonzeptionierten Fahrbücherei wird dann den weiteren Fahrbüchereien in Schleswig-Holstein als gutes Umsetzungs-Modell dienen. 

 Und wo stehen wir in fünf Jahren?

 Oke Simons: In sehe die Entwicklung verschiedener innovativer Angebote, die heute noch in der Erprobungsphase stecken. Nehmen Sie das Angebot von „Coworking-Spaces“ – also das Teilen von temporären Arbeitsplätzen an einem Ort. Hier hat sich gerade eine Genossenschaft in Schleswig-Holstein gegründet und die ersten MarktTreffs sind dabei. Die Digitalisierung ermöglicht gerade in ländlichen Gemeinden ganz neue Herangehensweisen an Arbeiten, Lernen, Leben – das wollen wir aktiv begleiten. Uns ist wichtig, dass die Menschen künftig weiter zusammenkommen. Digitalisierung darf nicht zu Vereinsamung führen. MarktTreffs spielen hier eine ganz wichtige Rolle als Orte der Nahversorgung und als Treffpunkte.

Oke Simons

 Oke Simons, geboren 1969, Bibliothekar, Master in Library and Information Science (M.A. LIS). 1994-95 an der FH Flensburg tätig, danach 1995–2004 in der Stadtbücherei Rendsburg. Seit 2004 in der Büchereizentrale Schleswig-Holstein beschäftigt, ab 2017 als stellvertretender Direktor, seit 2019 als Direktor.

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