• Markttreff Kirchbarkau am 25.02.2020
Foto: Markus Scholz

Wie die Corona-Pandemie den Einzelhandel verändert – Nahversorgung und Digitalisierung als Chance +++ DorfFunk bringt Menschen zusammen

K i e l  MT 23.04.2020 – Seit über einem Monat hat das Corona-Virus Deutschland im Griff. Der damit verbundene „Shutdown“ hat Teile der Wirtschaft lahmgelegt, die sozialen Kontakte erheblich eingeschränkt und nicht zuletzt das Einkaufsverhalten verändert. „Die Lebensmittelgeschäfte in schleswig-holsteinischen MarktTreffs haben bisher davon meist profitiert“, sagt MarktTreff-Projektmanager Ingwer Seelhoff. „Auch in dieser Situation haben sich die MarktTreffs als verlässliche Ankerpunkte in den Dörfern bewährt – in der Nahversorgung, als soziale Drehscheiben und Hilfezentren für die Menschen.“ Für andere Läden und die Gastronomie sei die derzeitige Lage jedoch sehr angespannt. Nun ist eine schrittweise Öffnung eingeleitet. Aber welche Veränderungen und Auswirkungen zeichnen sich langfristig ab – auch in Bezug auf digitale Chancen? Zu dieser Frage gibt es unterschiedliche Meinungen und Aussagen.

So berichtete das Handelsjournal jüngst über eine vom Marktforschungsinstitut Kantar durchgeführte Befragung: rund 3.200 Menschen äußerten sich dabei im Laufe der letzten Märzwoche 2020 zu ihrem Einkaufsverhalten. Demnach wurde ein gestiegenes Online-Kaufverhalten festgestellt: Zwar bestätigten lediglich neun Prozent der Verbraucher, dass sie mehr online einkauften. Aber 32 Prozent erwarteten, dass sie ihren Anteil am Onlineshopping noch weiter steigerten.

Sechs von zehn Verbrauchern sagten, dass sie auch nach der Pandemie ihr gestiegenes  Online-Kaufverhalten beibehalten würden. Ein Zeichen dafür, so die Studie, dass der Corona-Ausbruch eine Verlagerung vom stationären Einzelhandel in den Onlinehandel schneller als bisher prognostiziert verstärken werde.

Diesen Trend bestätigt Eva Stüber vom Institut für Handelsforschung, Köln: „Anfang des Jahres haben wir bei Lebensmitteln einen Onlineanteil von neun Prozent bis 2030 prognostiziert.“ Dies werde sich jetzt durch neue Angebote und Lieferdienste wesentlich dynamischer entwickeln. Viele VerbraucherInnen hätten in der Corona-Krise „die Erstbestellhürde überwunden“. Wenn der digitale Warenkorb erst einmal angelegt sei, werde häufiger dieser Weg genutzt werden. Zugleich wies Stüber im Gespräch mit dem WDR auch auf Liefer-Chancen für regionale Anbieter wie Bauernhöfe und Märkte hin.

Zu anderen Aussagen kommt laut Handelsjournal der Corona-Handelstracker von EY Partheon. Demnach glauben nur 14 Prozent der Befragten, dass sie nach Öffnung der Läden mehr online einkaufen würden als vorher. Die ExpertenInnen von EY vermuten, dass die Auswirkungen der Krise auf das Kaufverhalten weitaus schwächer sein könnten als oft angenommen. Bei Lebensmitteln sei die Bereitschaft, nach der Krise weiter online einzukaufen, sogar gesunken. Hauptgrund seien die langen Lieferzeiten und die hohen Lieferkosten.

„Dies deckt sich durchaus mit unseren aktuellen Corona-Erfahrungen“, sagt Thorsten Bausch von myEnso (ENSO eCommerce GmbH, Gründer und CMO). Das Bremer Unternehmen, das gezielt Online- und stationären Handel im Lebensmittelbereich kombiniert, hat in den vergangenen Wochen einen rasanten Boom erlebt. 

„Die online eingegangenen Bestellungen haben uns nur staunen lassen, solch einen Ansturm hatten wir nicht erwartet“, so der 58-Jährige. „Das Corona-Virus hat zu neuem Denken geführt – ein Denken, auf das myEnso vorbereitet ist – nur die Welle ist größer, als wir alle gedacht haben.“ myEnso hat das Team in der Bremer Zentrale verstärkt. Und wer sonst üblicherweise am Schreibtisch arbeitet, hilft nun auch im Lager mit, um die enorme Zahl an Bestellungen zu bewältigen.

Die Nachfrage komme aus allen Bereichen: aus städtischen Räumen, aus ländlichen Räumen, aus Seniorenheimen. „Wir glauben zwar“, so Bausch, „dass die Bereitschaft, Lebensmittel online einzukaufen, nach der Krise etwas abnehmen wird: Das Einkaufsverhalten wird sich wieder zu Gunsten des stationären Handels verlagern. Aber viele Leute haben den Online-Einkauf kennengelernt und werden dies wieder nutzen.“

Insbesondere aus Dörfern erhalte myEnso zahlreiche Anfragen, ob nicht auch dort jeweils die Kombination von stationärer Einkaufsmöglichkeit verknüpft mit dem vollen Programm des myEnso-Online-Lebensmittelhandel realisiert werden könne – als tante enso, die sich auch in MarktTreffs integrieren lasse. Bausch: „Wir stehen bereits mit ersten Orten im gesamten Bundesgebiet im Gespräch, um nach Corona die nächsten tante-enso-Läden schnell eröffnen zu können.“

Digitale Lösungen müssen konkreten Nutzen verschaffen

Gerald Swarat, Leiter des Berliner Büros des Fraunhofer Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE

Einer, der sich intensiv mit digitalen Lösungswegen gerade für die ländlichen Räume befasst, ist Gerald Swarat. Er leitet das Berliner Büro des Fraunhofer Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE. „Um unsere ländlichen Räume für die kommenden Jahre wettbewerbsfähiger, nachhaltiger und umweltfreundlicher zu machen sowie die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, unterstreicht nun die Corona-Krise mit großem Nachdruck die Notwendigkeit, explizit auf digitale Lösungen zu setzen, um diese Ziele zu erreichen. Der nachvollziehbare, konkrete Vorteil für BürgerInnen, UnternehmerInnen und Verwaltung muss in den Vordergrund rücken, denn allein technische Probleme im Elfenbeinturm zu wälzen wird keine breite Begeisterung zum Wandel entstehen lassen. Nur Lösungen – auch im Bereich der Nahversorgung –, die den BürgerInnen tatsächlichen Nutzen verschaffen, machen sie dauerhaft erfolgreich.“

Das Fraunhofer IESE befragte im Rahmen des Projektes Digitale Dörfer in Rheinland-Pfalz Kommunen nach eigenen Ansätzen und Herausforderungen, erarbeitete kooperativ mit den Menschen vor Ort die Szenarien und entwickelte gemeinsam mit drei Verbandsgemeinden und weiteren Partnern seit 2015 konkrete digitale Lösungen für das Land von morgen.

„Nachbarschaftshilfe und Gemeinschaftsgefühl auf dem Land bieten eine ideale Basis, die durch Digitalisierung in nachhaltig tragfähige Lösungen transformiert werden kann“, ist sich Gerald Swarat sicher. Regionale Händler erhielten die Chance, sich in der Kombination aus Online-Handel und Vor-Ort-Beratung am Markt zu behaupten. Ihre Pakete würden – unterstützt durch eigens entwickelte digitale Systeme – ehrenamtlich von Bürgern für Bürger ausgeliefert. Ältere Menschen erführen Hilfe beim Einkaufen und in ihrer Mobilität, Jüngere sparten Zeit und könnten Beruf und Familie besser vereinbaren. Gerald Swarat: „Der lokale Handel erhält neue Chancen, um ein weiteres Sterben der Ortskerne zu verhindern.“ Für Swarat gilt es, die Herausforderungen durch Corona jetzt als Chance zu begreifen, die digitalen Möglichkeiten gerade in den ländlichen Räumen noch zielführender zu nutzen und klassischen Strukturen wie beispielsweise Dorfläden neuen Schwung und Zukunftsfestigkeit zu verleihen.

„Das MarktTreff-Modell hat sich in dieser für alle angespannten Gesamtsituation als großartiges Angebot der wohnortnahen Versorgung und als Knotenpunkt nachbarschaftlicher Hilfe erwiesen“, betont Christina Pfeiffer, Projektleiterin für MarktTreff im Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration des Landes Schleswig-Holstein. „In vielen der rund 40 Standorte haben neue Kundinnen und Kunden nicht nur die Qualität, die Sortimentsvielfalt und den Service kennen und schätzen gelernt, sondern gelebte Dorfgemeinschaft bewusst wahrgenommen.“  Aktuell unterstütze das Ministerium die MarktTreffs bei der Modernisierung mit Schutzmaßnahmen. „Wir setzen weiter auf Nahversorgung von Mensch zu Mensch – und beobachten zugleich interessiert die Entwicklung und Möglichkeiten im Online-Sektor.“

+++ DorfFunk bringt Menschen zusammen +++

Das Fraunhofer IESE erforscht bereits seit 2015 mit seinem Projekt „Digitale Dörfer“ die Rahmenbedingungen innovativer lebendiger Kommunen. Eine funktionierende Kommunikation gehöre als wesentliches Element dazu – vor diesem Hintergrund sei im Rahmen des Projektes die neue App „DorfFunk“ entwickelt worden, so Gerald Swarat. In der jetzigen Situation zeige sich, wie wichtig eine einfach funktionierende digitale Infrastruktur sei. Swarat: „Sie bildet heute das Rückgrat für Kommunikation und ermöglicht in Zeiten von ,Social Distancing‘ die Pflege sozialer Kontakte. Unabhängig von der derzeitigen Krisensituation haben wir die Chance mit DorfFunk, die Menschen im Land einander näher zu bringen und den Nutzen von digitalen Services erlebbar zu machen.“

Allen Schleswig-HolsteinerInnen in den kreisangehörigen Gemeinden und Städten steht die App ab sofort kostenfrei zur Verfügung. Sie entspricht den Anforderungen des Datenschutzes und verfolgt keinerlei kommerzielle Zwecke – alle Informationen dazu und den Download-Link finden Sie unter: www.dorffunk-sh.de 

Reinhard Boll, Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes für Schleswig-Holstein, erläutert: „Über 2,2 Millionen EinwohnerInnen in mehr als 1.000 Gemeinden beziehungsweise elf Landkreisen steht nun eine einfach zu handhabende App für die unkomplizierte Kommunikation zur Verfügung.“ In dieser für alle herausfordernden Zeit seien die Sparkassen nicht nur ein verlässlicher Partner in allen Finanzfragen, sondern unterstützten auch Bürgerinnen und Bürger mit einem ganz konkreten Angebot.

Der SGVSH ist bereits seit einiger Zeit aktiv dabei, mit dem Projekt #SH_WLAN ein landesweites öffentliches WLAN-Netz zu schaffen, das kostenlos ohne Registrierung genutzt werden kann. Bisher sind bereits rund 2.500 Zugangspunkte (Access Points) an 750 Standorten entstanden, darunter beispielsweise auch im MarktTreff Barkauer Land in Kirchbarkau (Kreis Plön).

„Mit dem DorfFunk SH ermöglichen wir nun den Schleswig-HolsteinerInnen, zu Hause zu bleiben, die eigene Gesundheit und die der anderen zu schützen und gleichzeitig als Gemeinschaft aktiv und für andere da zu sein“, hebt der Vorsitzende der Akademie für die Ländlichen Räume, Hermann-Josef Thoben, in der derzeitigen Situation hervor.

Dies betont auch Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote, der die Initiative DorfFunk SH ausdrücklich unterstützt: „Die Corona-Krise zwingt uns, das gesellschaftliche Leben und den direkten persönlichen Kontakt mit Freunden und Bekannten auf ein Minimum zu beschränken. Zusätzliche digitale Kommunikationsangebote und die Stärkung der Selbstorganisation, zum Beispiel für Hol- und Bringservices für ältere Menschen im ländlichen Raum, sind begrüßenswerte Beiträge zur Bewältigung der Krise.“

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