Interview mit Staatssekretärin Anne Benett-Sturies
25 Jahre MarktTreff: Unser Dank geht an viele engagierte Menschen
Multifunktionalität des Nahversorgungsmodells bleibt seine Stärke
K i e l MT 06.05.2024 – Ein schleswig-holsteinisches Erfolgsprojekt der Nahversorgung und ländlichen Entwicklung feiert in diesem Jahr Jubiläum: 25 Jahre MarktTreff. Vor einem Vierteljahrhundert wurden die ersten multifunktionalen Dorfzentren im nördlichsten Bundesland eröffnet. Wie ordnet heute Staatsekretärin Anne Benett-Sturies vom Ministerium für Landwirtschaft, ländliche Räume, Europa und Verbraucherschutz die Entwicklung, den aktuellen Status und die Zukunft des bundesweit beachteten Modells ein? Im Interview gibt die 63-jährige diplomierte Forstwirtin und langjährige Leiterin des Bildungszentrums für Natur, Umwelt und ländliche Räume sowie der Abteilung Ländliche Entwicklung im früheren Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume dazu Antworten.
Sie sind seit langer Zeit den ländlichen Räumen und ihren Herausforderungen verbunden. Welche Rolle hat dabei MarktTreff Schleswig-Holstein gespielt? Wie haben Sie das Projekt kennengelernt und wahrgenommen?
Anne Benett-Sturies: Mir ist das Projekt MarktTreff tatsächlich schon früh – noch in der Entstehungsphase – das erste Mal begegnet. Dann wieder Anfang der 2000er Jahre auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin, wo die MarktTreff-Idee öffentlich präsentiert wurde. Seitdem habe ich die Entwicklung der MarktTreffs im Land intensiv privat und beruflich in meinen verschiedensten Funktionen verfolgt. Von Kindesbeinen an lebe ich in den ländlichen Räumen und habe erleben müssen, wie der kleine Lebensmittelladen oder der Bäckereibetrieb im Nachbarort ohne Nachfolgeregelung geschlossen wurden. Das war insbesondere für ältere Menschen ein Problem. Umso mehr hat es mich daher gefreut, wie sich das Projekt MarktTreff in den letzten Jahren weiterentwickelt hat und zu einem zentralen Anlaufpunkt im Dorf wurde, der nicht nur Einkaufsmöglichkeiten bietet, sondern auch andere Dienstleistungen und Aktivitäten integriert. Dieser multifunktionale Ansatz leistet einen wichtigen Beitrag, um die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume zu sichern.
Hat die Corona-Zeit dies noch einmal verändert?
Anne Benett-Sturies: Ja, denn in der Corona-Krise hat eine gewisse Rückbesinnung stattgefunden. Plötzlich waren die regionalen Strukturen wieder sehr viel mehr wert. Wir tragen als Ministerium gern dazu bei, die MarktTreff-Ausrichtung weiter zu beleben. Denn wir alle wissen: Dies ist kein Selbstläufer. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit ist eine echte Herausforderung.
In der Corona-Zeit war zu beobachten, dass neue Generationen die MarktTreffs für sich entdeckten. Was bedeutet dies für das MarktTreff-Modell?
Anne Benett-Sturies: Die MarktTreffs, die mittlerweile landesweit gut verteilt sind, können einen wichtigen Beitrag zur Förderung von regionalem Einkaufsverhalten, insbesondere bei Kindern und jungen Menschen, leisten. Angesichts der weit verbreiteten Nutzung von Mobiltelefonen durch Kinder und der zeitnahen Lieferung bei Onlinebestellungen können MarktTreffs neue Anreize bieten, indem sie lokale Produkte wie zum Beispiel Bauernhofeis anbieten. Dabei ist es jedoch wichtig, die regionale Logistik zu verbessern, um die Verknüpfung mit der heimischen Produktion zu stärken. Dies haben wir als einen Aufgabenschwerpunkt identifiziert. MarktTreffs bieten sowohl ökonomische als auch soziale Vorteile, was unter anderem den Binnenlandtourismus stärkt, insbesondere entlang des Ochsenwegs. Touristen, die im Binnenland unterwegs sind, schätzen die Verfügbarkeit regionaler Produkte in den MarktTreffs, was ihnen den Besuch größerer Zentren erspart.
Welche wirtschaftlichen Fragen müssen MarktTreffs in den Dörfern im Blick behalten?
Anne Benett-Sturies: Das ist ein ganzes Bündel. Die demographische Entwicklung muss im Fokus bleiben: Was wollen ältere Menschen, was die Jüngeren? Zweitens die Digitalisierung: zum Beispiel für erweiterte Öffnungszeiten. Dann müssen die Betreiberinnen und Betreiber ihr Gespür für Marktchancen nutzen. Deshalb ist für mich unverändert diese Begrifflichkeit MarktTreff so glücklich: Da ist der Markt, der für die wirtschaftliche Komponente steht – und der Treff für die sozialen Aspekte.
Welche Rolle kommt den Menschen im Dorf bei der Entwicklung und dem Betrieb eines MarktTreffs zu?
Anne Benett-Sturies: Anfangs kommt es auf das Engagement der Kommunalpolitik an, das den Nährboden bildet, auf dem aufgebaut werden kann. Dann ist das Bekenntnis vieler Bürgerinnen und Bürger notwendig: Es ist unser MarktTreff, und wir nutzen den MarktTreff!
Gleichzeitig wissen wir um die Diskrepanz bei Kundinnen und Kunden: Bei Befragungen wollen viele einen MarktTreff und im späteren Alltag sieht das Einkaufsverhalten dann etwas anders aus.
Zusätzlich zum Gemeinschaftsgeist in einer Kommune braucht es ein oder zwei engagierte „Motoren“. Das sind Menschen, die die Idee lebendig erhalten und fortwährend Impulse in die Bevölkerung geben, indem sie beispielsweise eine Kinderaktion anbieten, damit im dichten Lebensalltag der MarktTreff nicht aus dem Blick gerät. Das ist ganz wichtig!
Wie kann Politik dabei unterstützen?
Anne Benett-Sturies: Das MarktTreff-Modell ist in unseren ländlichen Räumen angekommen. Es ist in Schleswig-Holstein sowohl auf der kommunalen Ebene als auch im landespolitischen Kontext bekannt. Damit das so bleibt, müssen weiterhin alle Beteiligten auf dieses Erfolgskonzept aufmerksam machen. Bei allen engen Grenzen, die uns der Landeshaushalt gerade unter den aktuellen Herausforderungen setzt, halte ich es für wichtig, für die Sichtbarkeit der MarktTreffs zu sorgen. Dies hat unser Minister bereits an verschiedenster Stelle getan, wie zum Beispiel während seiner Sommerreise im vergangenen Jahr. Zusätzlich sind Auftritte auf Märkten oder Messen, wie auf der Norla, hilfreich, die MarktTreff-Idee für die Menschen greifbar zu machen.
Warum ist MarktTreff aus Schleswig-Holstein so ein Erfolgsprojekt?
Anne Benett-Sturies: Ich möchte an dieser Stelle nochmal explizit zu 25 Jahren wirklich beispielgebender Entwicklung gratulieren! Dabei ist es mir sehr wichtig, danke zu sagen: bei den Kommunen, den Betreiberinnen und Betreibern sowie den Kundinnen und Kunden für ihr Engagement, ihren Einsatz und ihr Vertrauen in das Projekt.
Den Erfolg bedingen mehrere Faktoren: das gemeinsame Vorgehen von Gemeinde, örtlicher Politik und Dorfgemeinschaft, die Multifunktionalität des jeweiligen MarktTreffs und die Offenheit bei den Weiterentwicklungsmöglichkeiten – ebenso die schnell agierenden und reagierenden Strukturen, wie das MarktTreff-Projektteam, das Landesamt für Landwirtschaft und nachhaltige Landentwicklung, der Beirat – das gesamte Netzwerk. Alle sind sie daran beteiligt. Gleichzeitig bleiben wir alle gefordert, diese Idee und ihre Multifunktionalität in Zukunft weiterzutragen, ohne dabei überzogene Träume hervorzurufen, sondern Herausforderungen und Stolpersteine ehrlich anzusprechen.
Wie schauen andere Bundesländer auf das Modellprojekt MarktTreff?
Was sagen Ihre Kolleginnen und Kollegen dazu?
Anne Benett-Sturies: Das MarktTreff-Modell ist ein echtes schleswig-holsteinisches Original. Natürlich sucht jedes Bundesland nach Möglichkeiten, die Nahversorgung in den ländlichen Räumen aufrechtzuerhalten. Aber ein Netzwerk, wie es hier in Schleswig-Holstein schon lange etabliert ist? Das ist mir aus keinem anderen Bundesland bekannt.
Wo steht das MarktTreff-Modell in fünf Jahren?
Anne Benett-Sturies: Ich würde mich freuen, wenn wir noch einige MarktTreff-Standorte hinzugewinnen. Dabei ist es manchmal die größere Herausforderung, den Bestand zu sichern. Es ist unser Herzensanliegen, diesen zu erhalten und im Rahmen der dörflichen Entwicklung auszubauen, gerne auch bei Förderprojekten im Rahmen der Ortskernentwicklung. Unsere Haltung ist: Klasse statt Masse! Wir haben bereits eine gute Deckung, wir haben eine große Vielfalt – dies zu verstetigen, weiterzuentwickeln, das wäre aus meiner Sicht zu tun.
Und in 25 Jahren, wenn MarktTreff 50 wird?
Anne Benett-Sturies: Für mich ist der MarktTreff das Einkaufserlebnis im Kleinen im dörflichen Kontext, in all seiner Multifunktionalität. Daher wünsche ich mir, dass er auch in 25 Jahren noch ein Modell ist, das unsere ländlichen Räume Schleswig-Holsteins in die Zukunft geführt hat.
Informationen zu Gründung und Betrieb eines MarktTreffs
Bei Interesse an der Gründung eines neuen MarktTreffs nehmen Sie bitte Kontakt auf mit dem Projektmanagement unter:
gruendung@markttreff-sh.de
Detaillierte Informationen zum Projekt MarktTreff mit vielen Arbeitshilfen und aktuellen Tipps finden Sie unter:
www.markttreff-sh.de
Das Projekt MarktTreff wird gefördert durch den europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER), die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) und das Land Schleswig-Holstein.
Fotos: Ministerium für Ländliche Räume (MLLEV) / Marlen Schlimbach; MarktTreff SH / ews group