Premiere bei Erfahrungsaustausch der
MarktTreff-Betreiber: Gäste aus
Mecklenburg-Vorpommern in Christiansholm

C h r i s t i a n s h o l m MT 31.03.2019 – Mit mehreren Premieren startete der erste Erfahrungsaustausch der MarktTreff-Betreiberinnen und -Betreiber im Jahr 2019. In Christiansholm gab es die erste MarktTreff-Regio-Box, einen rund um die Uhr zugänglichen Verkaufsautomaten, live zu erleben. Zudem begrüßte Jürgen Blucha, verantwortlich für die Ländliche Entwicklung im schleswig-holsteinischen Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration, erstmals eine Delegation aus Mecklenburg-Vorpommern bei einem solchen Treffen. Jörg Auras von der EDEKA Nord gab Hinweise zu neuen Trends im Lebensmittel-Einzelhandel – und löste damit eine intensive Diskussion aus.

Über 40 Betreiberinnen, Betreiber und MarktTreff-Interessierte waren gespannt darauf, wie die Menschen in Christiansholm Innovatives für ihren MarktTreff entwickelt und umgesetzt haben. Zu dem kleinen regionalen Marktplatz direkt an der Bundesstraße 203 gehören eine Regio-Box – gefüllt mit regionalen Produkten –, Büchertauschecke, Tauschbörse und Mitfahrbank. Tobias Carstens, Fleischproduzent und zukünftiger Betreiber der ersten Gläsernen Schlachterei in Schleswig-Holstein, bewirtschaftet den gekühlten Verkaufsautomaten – den Teilnehmende des Erfahrungsaustauschs auch gleich selbst reichlich nutzten.

Jürgen Blucha vom Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration in Kiel begrüßte die Teilnehmenden des ersten MarktTreff-Erfahrungsaustausches im Jahr 2019.

Bürgermeister Ralf Tiessen und Tobias Carstens erläuterten im Gespräch den Weg bis zur Umsetzung. Nach einer Zukunftswerkstatt 2017 kristallisierte sich die Idee eines regionalen Marktplatzes heraus und wurde zielführend verfolgt. Die Gemeinde investierte – unterstützt mit Fördergeldern der AktivRegion Eider-Treene-Sorge – insgesamt knapp 60.000 Euro.

Tiessen betonte, dass Christiansholm aber auch das Glück habe, einen Betreiber gefunden zu haben, der nicht nur lokal und regional denke, sondern so auch handele und produziere. Tobias Carstens: „Ich halte über 500 Rinder – größtenteils Galloways und Highlanders –, die ökologisch aufgezogen werden. Die Tiere  seien fast nur draußen, so der 25-jährige Unternehmer Tobias Carstens, und würden vor der Verarbeitung auf der Weide geschossen. „Und die Verarbeitung erfolgt nun bald in unserer Gläsernen Schlachterei, die im Nachbardorf Hamdorf entsteht.“ Von der Qualität der Produkte konnten sich alle Erfahrungsaustausch-Gäste selbst überzeugen: Carstens sorgte für das Catering im Treffbereich des MarktTreffs.

„Für unseren MarktTreff schmieden wir bereits weitere Pläne für die Zukunft“, sagte Bürgermeister Tiessen. Der Treffbereich solle vergrößert werden – und zwar im Rahmen eines Feuerwehrneubaus. Zudem könne er sich zu einem außerschulischen Lernort entwickeln. Dabei könnten Schülerinnen und Schüler etwas über Rinderhaltung im Naturschutzgebiet, Fleischverarbeitung und Produktvermarktung lernen. „Ich nenne so etwas Food-Bildung“, ergänzte Tobias Carstens, der bereits auf seinem Hof Kinder an die Thematik heranführt und mit ihnen in einer offenen Küche Produkte verarbeitet. Als Marktbeschicker, der mit seinen Produkten in Kiel, Hamburg oder Neumünster vertreten ist, verfügt Carstens über ein großes Netzwerk, wovon auch die Christiansholmer profitieren: so organisiert er beispielsweise Molkereiprodukte und Säfte anderer Hersteller, die in der Regio-Box angeboten werden. „Das ist toll und bringt Vielfalt und Abwechslung“, meint Bürgermeister Ralf Tiessen.

Die Regio-Box des MarktTreffs Christiansholm mit Büchertausch und Mitfahrbank direkt an der Bundesstraße 202.
Christiansholms Bürgermeister Ralf Tiessen (Mitte) und Viehzüchter Tobias Carstens erläuterten ihr Modell der Regio-Box, links im Bild Ingwer Seelhoff vom MarktTreff-Projektmanagement.
Aus ganz Schleswig-Holstein kamen die Teilnehmenden an dem Erfahrungsaustausch, zudem nahmen Gäste aus Mecklenburg-Vorpommern daran teil.
Irmtraud Kunkel (links) aus dem Ministerium in Schwerin, Kaufmann Daniel Friedberg aus Carlow und Andrea Boldt vom Bernitter Dorfladen stellten das Thema Nahversorgung in Mecklenburg-Vorpommern vorn – moderiert von Ingwer Seelhoff (Mitte).
Jörg Auras von der EDEKA Nord präsentierte neue Entwicklungen im Lebensmittel-Einzelhandel.

Zum ersten Mal nahmen Gäste aus Mecklenburg-Vorpommern am MarktTreff-Erfahrungsaustausch teil. Irmgard Kunkel aus dem Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern erläuterte ihr Programm „Neue Dorfmitte“. Anders als bei der möglichen MarktTreff-Förderung würden hier direkt die Kauffrau oder der Kaufmann bei einer Ladengröße bis maximal 400 Quadratmeter gefördert – aber auch mobile Kaufläden. „Viele unserer Dorfläden sind in einem recht sanierungsbedürftigen Zustand“, so Kunkel. In Mecklenburg-Vorpommern seien die Gemeindestrukturen größer. Durchschnittlich hätten die Gemeinden 2500 Einwohner und recht viele Ortsteile. 

Seit 2015 seien durch das Programm „Neue Dorfmitte“ über 37 Projekte unterstützt worden. „Was uns am Vorgehen in Schleswig-Holstein gefällt, ist, dass die Gemeinden viel stärker einbezogen sind – das würden wir auch gern mehr befördern.“ Ihre Praxiserfahrungen brachten EDEKA-Kaufmann Daniel Friedberg aus Carlow und Andrea Boldt vom genossenschaftlichen Bernitter Dorfladen ein – beides Standorte, die von der „Neuen Dorfmitte“ profitierten. Friedberg war so in der Lage, den klassischen 220-Quadratmeter-Dorfladen gerade auch energetisch und optisch zu sanieren – mit deutlichem Umsatzplus als Erfolg.

Einen ganz anderen Weg und Hintergrund schilderte dagegen Andrea Boldt vom Projekt Bernitter Dorfladen. „Wir waren ein paar Muttis im Dorf, die meinten, wir brauchen dringend eine Nahversorgung, um die anderen Dorfstrukturen mit Kita, Schule und Ärzte zu stärken.“ Dies habe viel Überzeugungsarbeit und Informationssammlung erfordert. „Wir hatten ja keine Ahnung, aber legten einfach los.“ Mit Hilfe einer Genossenschaft und einer Crowdfunding-Aktion im Internet wurde so das Startkapital akquiriert. Das Programm „Neue Dorfmitte“ half dann, das Projekt richtig zum Laufen zu bringen. „Heute hat sich neben der Einkaufsmöglichkeit ein gut angenommener Mittagstisch etabliert“, so Boldt. 1.000 Artikel bietet der 80 Quadratmeter große Laden. In Zukunft möchte Andrea Boldt gern verlässliche Strukturen aufbauen, um noch mehr regionale Produkte bieten zu können und ein Netzwerk von Dorfläden zu unterstützen. Ein solches Netzwerk hält auch Irmgard Kunkel aus dem Ministerium für zielführend. „Schleswig-Holstein zeigt uns, wie wirkungsvoll das ist.“ In Mecklenburg-Vorpommern sei ein Strategiefonds angedacht, um Dorfladen-Betreiber besser zu unterstützen. „Es ist natürlich sehr hilfreich, wenn es wie in Schleswig-Holstein ein Projektteam gibt, das den Kaufleuten bei etwaigen Problemen konkret strategische Unterstützung geben können.“

Über 40 Teilnehmende trafen sich im MarktTreff Christiansholm zum ersten Erfahrungsaustausch in diesem Jahr.
Im Gespräch: Bürgermeister Bernd Holm aus Haale (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und Kaufmann Daniel Friedberg (rechts) aus dem mecklenburgischen Carlow.
MarktTreffler unter sich: Holger Petersen (links) aus Sehestedt (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und Knut Thomsen aus Delve (Kreis Dithmarschen)
Marion Eisele aus Meddewade (Kreis Stormarn) ließ sich von Maik Schultze beraten, der jetzt den MarktTreff Wester-Ohrstedt (Kreis Nordfriesland) abgegeben hat und dem für sein große MarktTreff-Engagement gedankt wurde.

Einblicke in aktuelle Entwicklungen und neue Trends des Lebensmittel-Einzelhandels gab Jörg Auras, Projektkoordinator Vertrieb bei der EDEKA Handelsgesellschaft Nord GmbH. Kunden würden ihre Ansprüche nicht nach unten schrauben. Deshalb müssten sie beispielsweise mit Produktvielfalt und neuen Bezahlmöglichkeiten in die Läden gelockt werden. Kritik an dieser Sichtweise kam von Seiten einer Reihe von MarktTreff-Betreiberinnen und -Betreibern, die genau dies monierten. Berit Thomsen aus Delve (Kreis Dithmarschen): „Wir müssen unsere Kunden in eine andere Richtung erziehen: dass wir nur eine Sorte Tomaten haben, die schmeckt, und dass wir eine solche Vielfalt und bestimmte Werbeangebote eben nicht vorhalten können.“ Den kleinen Läden drohe, von der EDEKA zukünftig gar nicht mehr beliefert zu werden, weil Umsätze verlangt würden, die utopisch seien, ergänzte Dagmar Thiele-Gliesche aus Kirchbarkau (Kreis Plön). Irmtraud Kunkel aus dem Schweriner Ministerium meinte, dass es sehr wünschenswert wäre, wenn es Lieferanten gäbe, die sich an passfähigen Konzepten für den ländlichen Raum beteiligten. Als weitere Idee wurde von Marion Eisele, Gemeindevertreterin aus Meddewade (Kreis Stormarn) eingebracht, vielleicht eine „Sozialsparte“ bei den Lieferanten einzurichten, um etwas für kleine Dorfläden zu tun und somit selbst ein soziales Projekt zu unterstützen. Jörg Auras nahm die Anregungen mit Interesse auf, um sie in die Diskussion in der Zentrale der EDEKA Nord einzubringen.

Die Regio-Box des MarktTreffs in Christiansholm ist mit weiteren Angeboten kombiniert.
Gespanntes Warten auf die Warenausgabe an der Regio-Box
Die Mitfahrbank ist in den regionalen Marktplatz des MarktTreffs Christiansholm integriert.
Lebhafter Austausch (v. l. n. r.): Jörg Auras (EDEKA Nord), Oliver Ohm (MarktTreff-Projektteam), Kauffrau Heidelinde Friedberg aus Carlow, Haales Bürgermeister Bernd Holm und Kaufmann Daniel Friedberg
Kai Oberhoff und Bernhard Horstmann aus Glasau (Kreis Segeberg) im Austausch mit Christiansholms Bürgermeister Ralf Tiessen und Regio-Box-Bewirtschafter Tobias Carstens (v. l. n. r.).
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