MarktTreff-Gemeinden: Premiere im Innenministerium Jörg Bülow vom SHGT sprach zur Vitalität von Dörfern

K i e l   MT 12.12.2017 – Bürgermeister, Gemeinde-Vertreter, MarktTreff-Betreiber und Kommunalfachleute trafen sich jetzt zum jährlichen Erfahrungsaustausch zu aktuellen Fragen der Nahversorgung in Dörfern, den Anforderungen an die Vitalität ländlicher Räume und den Fördermöglichkeiten für die ländliche Entwicklung. Die Veranstaltung mit rund 50 Interessierten fand erstmals im Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration in Kiel statt.

Referatsleiter Jürgen Blucha wies zunächst bei der Begrüßung mit einem Schmunzeln auf die neue ministerielle Zuordnung der ländlichen Entwicklung hin: „Wir ziehen hier demnächst in das sogenannte Gesindehaus – ich hoffe aber, dass dies kein Omen ist!“ Dafür spreche aber schondie bereits gute Kommunikation zwischen Landesplanung und der ländlichen Entwicklung, die nun in einer Abteilung vereint seien, betonte Blucha als neuer stellvertretender Abteilungsleiter.

Jörg Bülow, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages, setzte mit seinem Impulsvortrag Ansätze für eine rege Diskussion.
Witzworts Bürgermeister Willi Berendt (Mitte) – seit über drei Jahrzehnten im Amt – hielt ein Plädiyer für das ehrenamtliche Engagement in schleswig-holsteinischen Gemeinden.
Jürgen Blucha begrüßte im Namen des Ministeriums für Inneres, ländliche Räume und Integration (MILI) beim Erfahrungsaustausch der MarktTreff-Gemeinden in Kiel.
Christina Pfeiffer aus dem MILI erläuterte gemeinsam mit Jürgen Blucha die aktuelle Förderstrategie des Ministeriums.

 Jürgen Blucha und Christina Pfeiffer vom Referat ländliche Entwicklung stellten die aktuellen Förderstrategien aus ELER (Europäischer Landwirtschaftsfond für die ländliche Entwicklung) und GAK (Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes) vor. „Die Hälfte der Förderperiode ist vorüber – und es können noch 3,84 Millionen Euro bis 2020 im Bereich der Basisdienstleistungen wie Bildung und Nahversorgung eingesetzt werden“, so Blucha. Bereits 18 Projekte befinden sich in der Umsetzung. „Nur wenige Projekte wurden bis jetzt im Bereich ländlicher Tourismus und Kulturerbe beantragt, da können Gemeinden noch Ideen entwickeln“, forderte Christina Pfeiffer die Gemeindevertreter auf. Bis zum 1. April 2018 müssen die Anträge für die nächste Runde eingereicht sein. „Lassen Sie sich auf alle Fälle vorab durch das LLUR (Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume) beraten“, so Pfeiffer. Im Bereich der GAK Förderung „Ortskernentwicklung“ komme Anfang 2018 eine neue Richtlinie heraus. „Es war uns wichtig, hier die Stichtagsregelung abzuschaffen, damit jederzeit ein Dorf die Chance hat, Mittel zu beantragen – allerdings muss ein Konzept zur Ortskernentwicklung vorliegen“, erklärte Jürgen Blucha. Zukunftsfähige Projekte werden auch durch die AktivRegionen unterstützt und gefördert. Mit 22 Regionen ist fast ganz Schleswig-Holstein abgedeckt.

Referatsleiter Blucha betonte, dass sich das Ministerium im MarktTreff-Bereich aktuell insbesondere dem Thema Energiekosten widme. „Wir wissen, dass es in diesem Bereich Schwierigkeiten in einigen MarktTreffs gibt und entwickeln derzeit verschiedene Angebote zur Unterstützung.“ Dabei werde zwischen bestehenden MarktTreffs und zu planenden MarktTreffs unterschieden. Energiecheck und Initialberatung durch die EKI SH sollen bei den bestehenden MarktTreffs dazu beitragen, Abhilfe zu schaffen. Bei neuen MarktTreffs soll die frühzeitige Einbindung von Expertise in Planung, Ausschreibung, Baubetreuung und Startphase helfen, Planungs- und bauseitige Fehler zu vermeiden.

Jörg Bülow, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages, bot mit seinem Impuls zu „Drei Anforderungen an die Vitalität ländlicher Räume“ zahlreiche Anknüpfungspunkte für Diskussionen. „Hier sind mir 1. Infrastruktur, 2. Lebensqualität und 3. Arbeitsplätze am wichtigsten", hob er hervor. Die MarktTreffs ordnete Bülow eindeutig dem Bereich Lebensqualität zu – wie auch Mobilität, medizinische Versorgung, Gastronomie und Leben im Alter. „Für all das braucht die Gemeinde mehr Geld.“ Beim Thema Schaffung von Arbeitsplätzen seien die Gemeinden aber oft mit landesplanerischen Begrenzungen konfrontiert, wenn es darum gehe, Gewerbegebiete weiter auszubauen oder mehr Wohnland zu schaffen. Das behindere die Vitalität.

Bülow betonte, dass der ländliche Raum Schleswig-Holstein in verschiedenen Länderrankings an die Spitze gebracht habe, so in den Bereichen Breitbandausbau, Windkraft und Integration von Flüchtlingen. „Schleswig-Holstein liegt zudem in der Kinderbetreuung unter den westdeutschen Bundesländern an erster Stelle“, stellte Jörg Bülow heraus. Besonders wichtig ist dem Kommunal-Experten der digitale Ausbau: 20 eigenständige Zweckverbände begleiteten im nördlichsten Bundesland den Ausbau digitaler Infrastruktur. „Hier müssen sich die Gemeinden mit der Frage beschäftigen: Welche Chancen haben wir durch die neuen Technologien?“, so Bülow. Ein heißes Eisen seien die Schulschließungen, da die Schülerzahlen doch wieder stiegen und nicht – wie prognostiziert – sinken würden.

Bürgermeister Bernd Blohm aus der MarktTreff-Gemeinde Brodersby schilderte die Situation einer Gemeinde ohne Schule, Kita oder Vereinen. „Das gemeinsame Leben läuft in unserem MarktTreff ab, der hat sich zu unserem Dorfzentrum entwickelt." Durch die beschlossene Fusion mit der Nachbargemeinde Goltoft erhofft sich Blohm noch mehr Kunden für den MarktTreff. „Große Probleme bereitet uns die Einführung der doppelten Haushaltsführung, die uns auf einmal mit hohen Schulden dastehen lässt." Der Spielraum für Investitionen wie neue Kühltruhen oder Lampen für den MarktTreff wird dann schwierig. Eine unkomplizierte Förderung wäre sehr hilfreich. Dem pflichtete auch Steinfelds neuer Bürgermeister Klaus-Gerd Jung bei, der gerade erst wieder in den Markttreff investieren musste und auch finanziell sehr eng aufgestellt ist. Die Mindestsumme von 100.000 Euro Förderung liege sehr hoch. Jürgen Blucha vom MILI musste dieser Forderung aber eine klare Absage erteilen. „Da können wir nichts machen – das wird als laufende Betriebskosten gewertet und das dürfen wir nicht fördern." In einzelnen Gemeinden werden diese Kosten für Ersatzmaßnahmen von einem Förderverein übernommen.

Bürgermeisterin Silke Hünefeld aus Jörl berichtete von der Berg- und Talfahrt mit dem MarktTreff. „Es bedarf kontinuierlicher Begleitung – und auch die Gemeinde muss den Wecker dauerhaft klingeln hören!“ Zur Unterstützung sei die Jörler Runde ins Leben gerufen worden, bei der sich Interessierte einmal im Monat träfen, um gemeinsam Aktivitäten für Jörl zu organisieren und damit den MarktTreff zu unterstützen. So gebe es jetzt im Advent das sogenannte Tannenpunschen: ein gemütliches Beisammensein vor und im MarktTreff.

Rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus MarktTreff-Gemeinden trafen sich zum Erfahrungsaustausch im MILI-Ministeriumsgebäude in der Landeshauptstadt.
Klaus-Gerd Junge, Bürgermeister aus Steinfeld (Mitte), forderte Fördermöglichkeiten für technische Kleininvestitionen, um Gemeinden zu entlasten.

Willi Behrend ist seit 32 Jahren Bürgermeister in Witzwort und tritt wie Blohm und Hünefeld bei der nächsten Kommunalwahl nicht mehr an. Mit viel Emotion gewährte er den Teilnehmenden einen Blick auf die sehr bewegte MarktTreff-Geschichte in seinem Dorf. Vier Mal wechselte der Betreiber, Behrend selbst stand auch schon hinter der Ladentheke, damit das Geschäft weiterlief. „Wir nehmen keine Miete, denn wir wollen dieses Angebot im Dorf und wissen, dass man mit so einem Laden nicht reich wird.“ Behrend beklagte die immer geringer werdenden Eigenmittel in der Gemeinde, die von hohen Kitakosten aufgefressen würden. Willi Behrend: „Und dann gibt es keinen Spielraum mehr für Entscheidungen, die die Vitalität im Dorf erhalten oder voranbringen.“

Bei der Rückschau auf das vergangene MarktTreff-Jahr hob Projektmanager Ingwer Seelhoff als besonderen Höhepunkt den Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsident Daniel Günther im MarktTreff Sehestedt am Nord-Ostsee-Kanal hervor. Betreiber Holger Petersen ergänzte dazu lachend: „Es kommen jetzt viele und wollen unsere extra kreierte ,Wurst mit Präsidenten-Sauce‘ probieren.“ Der Besuch sei für Sehestedt ein Ansporn, sich jetzt beim aktuellen Landeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ zu beteiligen. Bis März 2018 können sich Gemeinden mit bis zu 3.000 Einwohnern bewerben (www.schleswig-holstein.de/dorfwettbewerb). 2015 hatte sich die MarktTreff-Gemeinde Rantrum als Sieger durchgesetzt und auf Bundesebene eine Silbermedaille gewonnen.

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